Für Menschenfreundlichkeit - gegen Hass und Hetze

Norden, 07. März 2020

Kirchenkreis initiiert Demonstration - Parteien und 1.400 Bürger machen mit

"Es ist jetzt an der Zeit“, sagte Superintendent Dr. Helmut Kirschstein am Sonnabend auf dem Norder Marktplatz. Zeit, ein Zeichen zu setzen für eine menschenfreundliche Gesellschaft, das Schweigen zu brechen und den Mund aufzumachen, um zu zeigen, wofür man stehe. Diese Worte sagte er im Rahmen einer Demonstration, die am Sonnabend in Norden stattgefunden hat. Rund 1.400 Menschen haben sich dem Zug durch die Innenstadt angeschlossen. Dabei kamen die Teilnehmer nicht nur aus Norden. Jeder, der an der Demonstration teilnahm, hat ein Zeichen gesetzt.

Warum gerade in Norden eine solche Demo? Für Menschenfreundlichkeit, gegen Hass und Hetze? „Ist es denn bei Euch besonders schlimm?“ sei er gefragt worden. Es sei egal, an welchem Ort man beginne: „Wir fangen an, wo wir sind“, sagte der Superintendent dazu, der mit anderen Rednern deutlich machte, worum es den Demonstranten ging.

Es war ein beeindruckender Menschenzug, der sich am Norder Tor getroffen hatte, um dann über den Neuen Weg und die Osterstraße vorbei an Menschen in Straßencafés oder beim Shoppen zu gehen und sich schließlich am Marktplatz zu versammeln. Am Norder Tor hatte Kirschstein die Namen der jüngsten Opfer rechter Extremisten verlesen – angefangen mit Regierungspräsident Walter Lübcke im Juni 2019 nahe Kassel, über die Getöteten beim Anschlag auf die jüdische Synagoge in Halle im Oktober bis hin zu Gökhan Gültekin, Said Nessar El Hashemi und etlichen weiteren Menschen, die in Hanau umgebracht worden sind. „Erschossen am19. Februar 2020, ermordet im Alter von...“ trug Kirschstein für jeden einzelnen deutlich vor. Da schwiegen einen Moment auch die Trommeln von „Kpanlogo“. Die Gruppe unter der Leitung von Christel Zehle hatte zuvor eine gute halbe Stunde lang die Demonstranten buchstäblich zusammengetrommelt und auf den Weg gebracht. Die mit Plakaten gegen rechte Hetze, mit Bannern und Fahnen ihre Solidarität mit der Aktion bekundeten.

Nicht nur Norder, aus dem ganzen ostfriesischen Raum waren Menschen dem Aufruf des Norder Kirchenkreises gefolgt, mit dem Gang durch Norden ein Zeichen zu setzen für „ein menschenfreundliches Norden gegen Hass, Hetze und Menschenverachtung.“ „Mord und Totschlag fallen nicht vom Himmel, sondern wachsen unter uns“, mahnte Kirschstein später bei seiner Rede auf dem Marktplatz. Und nein, den Satz „das wird man doch mal sagen dürfen“, dürfe man eben nicht sagen. „Jedes Opfer ist ein Mensch und ein Mensch zu viel.“ Kirschstein verwehrte sich unter Beifall gegen Hass auch auf Fußballplätzen und in Stadien, in Rathäusern und überhaupt im Zusammenleben. „Geht es Euch selbst so schlecht oder zu gut?“ fragte er vielsagend und forderte Anhänger der rechten Szene auf: „Haltet mal die Klappe, seid zufriedener.“

Hass und Hetze müsse man Würde und Vertrauen entgegen setzen, erklärte er, sich nicht selbst provozieren lassen. Schon Bürgermeister Heiko Schmelzle hatte die Würde unter Bezug auf Artikel 1 des Grundgesetzes in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt und dazu aufgerufen, die Demokratie zu verteidigen und für die Werte des Zusammenlebens einzutreten. Würde sei ein weltumfassender Anspruch eines jeden Erdenbürgers. „Es macht mir Angst, wie Hass und Hetze sich in unserem Land wieder Bahn bricht. Eine Grenze nach der anderen wird überschritten. Wo soll das nur hinführen?“ fragte er.

Als Vertreterin des Arbeitskreises Synagogenweg erinnerte Almut Holler an die Schändung auf dem jüdischen Friedhof im letzten Jahr: „Fast 75 Jahre nach dem Ende des Nazi-Reiches stieg der Schrecken wieder auf“, sagte sie, „derselbe Hass, dieselbe Gewalt, derselbe Wille zum Töten.“ Mit der Schändung seien die damals Ermordeten erneut ermordet worden, „der Mord bestätigt.“ Das Gift stecke schon in der Sprache, mahnte sie in Anlehnung an Victor Klemperer: „Vergiftete Sprache, sie bleibt Jahrzehnte kontaminiert.“ Dasselbe Gift wirke bis heute, Holler sprach von einer Verbindungslinie, die 1933 begonnen habe. „Vom Gift der Sprache zum Gift der Tat. Von Norden bis Halle.“

Großen Beifall bekamen die Ansprachen von Ihsan Alshab und Intissar Issa. Beide Frauen leben seit vier Jahren in Deutschland. Sie sei im Libanon aktiv für Kinderrechte eingetreten, sagte Ihsan Alshab, habe gegen die Verheiratung Minderjähriger gekämpft und sei deswegen verfolgt worden. „Hass ist eine Krankheit“, sagte sie, und die Täter seien immer die ersten, die von ihr befallen seien. Man könne sich nicht aussuchen, wo man geboren werde, mit welcher Hautfarbe und in welche Religion. „Wir sind so geboren und nicht schuld daran.“ Wie Intissar Issa lobte sie Norden als freundliche und hilfsbereite Stadt. „Wir wollen in Frieden leben“, bat Issa, sie hoffe, dass ihre Kinder hier aufwachsen dürften, „denn Deutschland ist ein demokratisches Land.“

Rund anderthalb Stunden waren die Menschen in Norden auf die Straße gegangen, um dafür einzutreten. Und sangen am Ende auf Initiative von Dr. Kirschstein gemeinsam: „We shall overcome“.

Text: Ostfriesischer Kurier - mit herzlichem Dank!