Gnadenkirche Tidofeld: Ehrung für Alexander Koop

Hannover / Norden-Tidofeld, 10. Oktober 2020

Landesbeauftragte für Vertriebene und Spätaussiedler verleiht Preis für großes Engagement

Bei seiner Arbeit in der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld hat BFDler Alexander Koop in den vergangenen Monaten zahlreiche Videointerviews neu bearbeitet und zusammengeschnitten, um die Dauerausstellung zu erneuern.

Freitage sind etwas Besonderes für Alexander Koop. Dann kommt die ganze Familie des 22-jährigen Norders zu einer kleinen Heimatstunde zusammen. Es gibt Beschbarmaq, das kasachische Nationalgericht, gekocht von seiner Oma – und dann kann Koop Fragen stellen. Fragen zu der Geschichte seiner Familie. Zu seiner einstigen Heimat Kasachstan. Zu seinen deutsch-russischen Wurzeln. Denn Alexander Koop ist Norder, der als Spätaussiedler mit gerade einmal fünf Jahren 2003 nach Ostfriesland kam.

Bis vor rund einem Jahr war diese Tatsache nichts, womit sich der 22-Jährige intensiv beschäftigt hat. Doch dann begann er seinen Bundesfreiwilligendienst (BFD) in der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld. Dabei arbeitete er sich in den historischen Hintergrund von Flucht, Vertreibung und Integration in den Nachkriegsjahren 1945 bis 1960 ein, überarbeitete die rund 70 Interviews, die Grundlage der Ausstellung in Tidofeld sind, schnitt sie neu zusammen – und entwickelte zugleich ein Interesse für seine eigene Geschichte. „Er hat hier richtig museumsinhaltliche Arbeit geleistet“, berichtet der Leiter der Dokumentationsstätte, Lennart Bohne, im Gespräch mit der Zeitung.

Brücken bauen

Ein Engagement, das Brücken zwischen Altbekanntem und Neuem baut und dem Norder nun den Preis „Ankommen“ der niedersächsischen Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Editha Westmann, eingebracht hat. Ein mit 1.000 Euro dotierter Preis, der deutlich macht, dass sich Koop, wie zehn weitere Preisträger – allesamt junge Spätaussiedler, die in Niedersachsen zu Hause sind – für die Verständigung zwischen Deutschland und Russland einsetzt und am gesellschaftlichen Zusammenhalt mitwirkt. Die 1.000 Euro Preisgeld kommen dabei der Dokumentationsstätte zugute.

Dass Koop einer der Preisträger ist, ist nicht zuletzt dem Einsatz von Nordens Bürgermeister Heiko Schmelzle (CDU) zu verdanken. Der hatte bereits vor einiger Zeit den Kontakt zur CDU-Landespolitikerin Westmann hergestellt. Nach einem Besuch der Unionspolitikerin in Tidofeld war sie an das Norder Stadtoberhaupt herangetreten und hatte ihn nach möglichen Kandidaten für den von ihr ins Leben gerufenen Preis gefragt. Westmann erkennt in der erbrachten Integrationsleistung der in Niedersachsen angekommenen Spätaussiedler eine Erfolgsgeschichte: „Sie haben nicht lange gefragt, was der Staat für sie geben kann, sondern haben sich mit Leistungsbereitschaft und Selbsthilfe neue Existenzen aufgebaut“, sagte sie anlässlich der Preisverleihung Ende September in Hannover. Im Gespräch zwischen Schmelzle und Bohne hatte sich zuvor schnell herausgestellt, dass Koop ein Preisträger sein könnte. Was folgte, waren Interviews des Büros der Landesbeauftragten mit Bohne und Koop, gefolgt von einem eintägigen Drehtag, bei dem ein Filmteam Koop bei seiner Arbeit begleitete – noch vor den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dieser Kurzfilm diente bei der Preisverleihung der Vorstellung des Engagements der Preisträger.

Spuren hinterlassen

Und der Einsatz von Koop ist in Tidofeld deutlich zu sehen. „Jeder Bundesfreiwilligendienstler kann und darf hier bei uns Spuren hinterlassen“, sagte Bohne. Im Fall von Koop sind es Videobeiträge zum Thema Integration, die die Biografien der Heimatvertriebenen in Kürze darstellen. Angereichert mit Kartenmaterial und einem tabellarischen Lebenslauf, können Besucher der Gnadenkirche so in die Geschichte der einzelnen Protagonisten der Ausstellung eintauchen. „Ich finde es schön, wenn die BFDler Teil des Ortes sind und man das auch sieht“, sagt der Leiter der Einrichtung.

Dabei war es nach dem Abitur gar nicht Koops Plan gewesen, einmal im Museum zu arbeiten. Er nahm zunächst ein Informatikstudium in Emden auf. „Aber das hat mir nicht so gefallen.“ Weil seine Schwester bereits Erfahrungen in einem Freiwilligen Sozialen Jahr gesammelt hatte, zog auch ihr Bruder einen Freiwilligendienst zur Berufsvorbereitung in Erwägung. Über die Kreisvolkshochschule in Norden entstand der Kontakt zur Dokumentationsstätte. Letztlich waren seine Informatikkenntnisse das, was ihn in besonderer Weise qualifizierte. „Wir schauen schon, dass die BFDler ein historisches Interesse und eine technische Affinität mitbringen“, erklärt Bohne.

Viel herausgefunden

Durch die Arbeit in der Dokumentationsstätte, die sich mit Vertreibungsgeschichten befasst, wuchs Koops Interesse an seiner eigenen Spätaussiedler-Geschichte. „Ich habe angefangen, nachzufragen.“ Inzwischen hat er herausgefunden, dass seine deutsch-russischen Wurzeln mütterlicherseits herrühren. Ursprünglich, so haben es seine Tante und Oma ihm erzählt, sei die Familie aufgrund ihres mennonitischen Glaubens von Deutschland auf die Krim (Ukraine) gezogen. Später wurden sie von dort aus nach Kasachstan abtransportiert. Erst Mitte der 1960er-Jahre wurden die Russlanddeutschen durch ein Dekret des Obersten Sowjets rehabilitiert. Nach und nach reisten sie nach Deutschland aus. Koops Familie – seine Eltern gemeinsam mit ihm und seiner Schwester – unternahm diesen Schritt erst Anfang der 2000er-Jahre.

Lieb gewonnene Tradition

Inzwischen lebt fast Koops gesamte Familie in Ostfriesland. Nur seine Großeltern väterlicherseits sind heute in Sowetsk (Kaliningrad) zu Hause. Alle zwei Jahre besucht der 22-Jährige sie dort. Seine Heimat ist und bleibt Norden. „Ich würde ungern von hier wegziehen. Ich fühle mich hier beheimatet.“ Ein Bedürfnis, einmal in seinen Geburtsort zurückzukehren, hat Koop nicht. „Unser Haus dort steht auch nicht mehr.“ Und viele Freunde der Familie seien inzwischen längst weggezogen. Auch wenn es ihn nicht zurück nach Kasachstan zieht, möchte er auf das Nationalgericht am Freitag bei seiner Oma dennoch nicht verzichten – und auch nicht darauf, noch mehr über die Geschichte seiner Familie zu erfahren.

Unter dankbarer Verwendung eines Artikels (und Fotos) aus dem OSTFRIESISCHEN KURIER