Ökumenischer Gottesdienst feiert "mehr als Toleranz"

Norden, 31. Oktober 2020

Reformationsfest: Acht Konfessionen setzen Zeichen gegen die Zerrissenheit der Gesellschaft

Das hat es in Norden noch nicht gegeben – und eine solche Vielfalt dürfte auch sonst ihresgleichen suchen: Erstmals feierten acht Konfessionen gemeinsam einen Ökumenischen Gottesdienst zum Reformationsfest. Neben den vier lutherischen Gemeinden in der Stadt Norden (Süderneuland, Andreas, Norddeich, Ludgeri) engagierten sich die evangelisch-reformierte wie die römisch-katholische Kirche, die evangelisch-freikirchliche Gemeinde (Baptisten), die Freie evangelische Gemeinde (FEG „Im Spiet“), die pfingstkirchliche Friedensgemeinde Tidofeld, die evangelisch-mennonitische Gemeinde sowie erstmals auch die Neuapostolische Kirche (Gemeinden u.a. in Hage, Leezdorf und Marienhafe-Norden).

Superintendent Dr. Helmut Kirschstein hatte den liturgischen Ablauf erarbeitet und griff dazu auf das Motto zurück, das die Hannoversche Landeskirche für 2020 vorgeschlagen hatte: „Reformation NEU feiern: Was verbindet“. Dieses Verbindende wurde in Texten, Liedern und Gebeten herausgestellt. Dabei interpretierten sich streitbare Luther-Choräle und biblische Aufforderungen zu Einigkeit und einem liebevollen Miteinander in ungewohnter Korrespondenz.

Aus allen beteiligten Konfessionen wurden Sprecherinnen und Sprecher im Gottesdienst aktiv. Eine weitere Besonderheit: Erstmals in Norden wurde an diesem Reformationsfeiertag eine gemeinsame evangelisch-katholische Predigt gehalten. Pfarrer Christof Hentschel und der Norder Superintendent begegneten sich dabei buchstäblich auf Augenhöhe: Weil die Corona-Abstands-Regel einen gemeinsamen Auftritt auf der Ludgeri-Kanzel unmöglich machte, bekamen beide ihr eigenes Pult im Altarraum.

Die Bibel rufe uns zu „mehr als Toleranz“, stellte Dr. Kirschstein fest: Ein „Ertragen mit zusammengebissenen Zähnen“ könne zwar die „Beißhemmung“ stoppen, das „Zähnefletschen“ läge dann aber immer noch nahe. „Eigentlich brauchen wir nur an den amerikanischen Wahlkampf zu denken, um zu wissen, was wir nicht wollen!“ Gottes Wort erwarte von uns, in einem Geist des Miteinanders aufeinander zuzugehen und zum Wohl der Menschen zusammenzuwirken.

Das unterstrich auch Pfarrer Christof Hentschel von der katholischen Ludgerus-Gemeinde: „Kirchen, die nicht dienen, dienen zu nichts!“ Er skizzierte sein Leiden an der „eigenen Kirche“ und betonte, dass durch den alle umspannenden Gott jede Kirche „Weltkirche“ sei. Nur in ihrer Gemeinsamkeit seien die Kirchen „systemrelevant“ und fungierten als „Ladestellen der Hoffnung“. Hentschel zitierte Papst Franziskus, der zum 500-jährigen Reformationsgedenken die Seligpreisungen Jesu aktualisiert und „den Kirchen geschenkt“ habe: „Selig, die für die volle Gemeinschaft der Christen beten und arbeiten.“

Die Dialog-Predigt selbst verwirklichte wohl das gemeinsame Ziel, der Zerrissenheit in Kirche und Gesellschaft entgegenzuwirken und ein positives Zeichen zu setzen: Spontaner Applaus zeigte die große Zustimmung der versammelten Gemeinde, zu der sich trotz der Corona-Auflagen etwa 130 Menschen versammelt hatten.

Auch musikalisch wurde der Gottesdienst vielfältig gestaltet: Neben der berühmten Arp-Schnitger-Orgel erklang ein Gospel-Solo („Amazing Grace“), ein Gesangs-Oktett der Ludgeri-Kantorei brachte stellvertretend für die Gemeinde mehrere Choräle zu Gehör, und Jochen Fischer unterstrich mit seinen Saxofon-Interpretationen den Aufbruch-Charakter des Gottesdienstes.

Alle acht Konfesssionen hatten sich im Vorfeld auch problemlos auf die gemeinsame Kollekte geeinigt: So wurden über 450 € für ein Projekt der „Kindernothilfe“ gesammelt, die sich in Zusammenarbeit mit griechischen Partnern vor Ort besonders für Kinder, Jugendliche und deren Mütter im abgebrannten Lager Moria auf der Insel Lesbos einsetzen.

Am Ausgang wurde aber nicht nur gegeben, sondern auch genommen: Da man aufgrund des Hygienekonzepts diesmal auf den „Lutherschmaus“ verzichten musste, bekamen die Besucherinnen und Besucher zum Abschied eine weiße Rose („Lutherrose“) mit einem erklärenden Text zur Wappen-Blume des Reformators – eine freundliche Erinnerung an diesen außergewöhnlichen Gottesdienst, dessen Botschaft noch lange nachhallen dürfte.