Zeitzeugengespräch: von Saigon nach Norddeich

Norden-Tidofeld, 25. Mai 2018

Gnadenkirche Tidofeld gibt Raum für Integrationserfahrung der Boatpeople

Phuong Nguyen und ihr Sohn Vu gehörten zu den ersten Vietnam-Flüchtlingen, die Ende der 70er Jahre im Sozialwerk Nazareth in Norden-Norddeich eintrafen. Jetzt sprach die Zeitzeugin in der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld über ihre Erlebnisse. Der Pädagogische Leiter der Einrichtung, Lennart Bohne, hatte sie im Rahmen der diesjährigen Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ dazu eingeladen. Der Leiter des Norder Teemuseums, Dr. Matthias Stenger, eröffnete den Abend mit grundsätzlichen Informationen zum Hintergund des Vietnamkriegs und leitete einfühlsam durch das Zeitzeugen-Gespräch.

Nguyen und ihr Sohn waren damals nur zwei von Hunderttausenden von Bootsflüchtlingen, die ihre Heimat verlassen mussten. Sie schafften es schließlich, sich über das Südchinesische Meer in eine ungewisse Zukunft zu retten. Deutschland sei heute definitiv ihre zweite Heimat, sagte die 68-Jährige. Da spreche sie auch für ihre Familie.

Mit großem Interesse hörten ihr einige Dutzend Besucher zu, wie sie von den Hintergründen ihrer Flucht im Jahr 1979 sprach. Das weckt bis heute Emotionen in ihr. Damals habe sie ihre kleine Tochter und ihren Ehemann zurücklassen müssen. „Sie waren auf einer Hochzeit, und uns blieb keine Zeit. Die Polizei hatte unser verstecktes Boot entdeckt, mit dem wir ein rettendes Schiff erreichen mussten,“ erinnerte sie sich.

Nach vielen Tagen auf See sei das 13 Meter lange Boot, besetzt mit mehr als 100 Passagieren, vom deutschen Kapitän eines Ölbohrschiffs entdeckt worden. Der Deutsche habe die Flüchtlinge aufgenommen und nach Kuala Lumpur gebracht. Von dort habe sie die malaysische Regierung mit Papieren ausstatten und nach Deutschland ausreisen lassen. Nguyen habe damals noch nicht einmal gewusst, wo Deutschland liegt. Erst viele Jahre später habe Roman Siewert, der damalige Leiter des Sozialwerks, die Familie zusammenführen können. „Meine Tochter hat mich nicht mehr als Mutter erkannt.“ Erst später, als sie noch ein zweites Baby zur Welt brachte, sei man wieder zu einer Familie geworden.

Spannend war auch der Rückblick von Roman Siewert. Er berichtete vom Auf- und Ausbau des Hauses Nazareth, das er in turbulenten Zeiten übernommen hatte. Jahrelang habe er um Anerkennung gekämpft. Inzwischen genieße die Einrichtung einen ausgezeichneten Ruf. Rückblickend sei er stolz auf die gelungene Integration sowie die Leistungen, die er mit seinem Team erbracht habe. „Bis der letzte Vietnamese das Haus im Jahr 2001 verließ, haben wir knapp 900 Kinder zu erfolgreichen Erwachsenen erzogen“, hob Siewert hervor. Wenn er heute beim Besuch in Vietnam auf ehemalige Boatpeople treffe, würden viele von ihnen sagen, dass sie echtes Heimweh nach Norddeich und dem Haus Nazareth haben.

Mit Dank an die Ostfriesen-Zeitung (Text und Foto)