Statement für Impfung und Demokratie

Norden, 24. Januar 2022

Versammlung auf dem Norder Markt: Kirche unterstützt Corona-Strategie der Regierung

Aus dem Kirchenvorstand Ludgeri heraus angestoßen und organisiert, vom Kirchenkreisvorstand unterstützt: Nach zahlreichen öffentlichen Auftritten von Impfgegnern bekam die bisher „schweigende Mehrheit“ jetzt auf dem Norder Marktplatz eine Stimme. Gut 300 Menschen und mehrere Redner, darunter Nordens Superintendent, zelebrierten ein beeindruckendes Pläydoyer für das Impfen und zur Unterstützung der Corona-Politik der Bundesregierung.

Dass dabei eher versöhnliche Töne angestimmt wurden und bei aller Auseinandersetzung auch ein Brückenschlag zu manchen Impfgegnern versucht wurde, deutete sich schon zu Beginn an: Kirchenvorsteherin Herma Heyken, die die Veranstaltung auf den Weg gebracht hatte, entzündete zum Auftakt eine Kerze im Gedenken an die Opfer der Pandemie und zur Erinnerung an den großen Einsatz von Ärzten und Pflegekräften. Bereits am Nachmittag, berichtete sie, hätten sich 321 Menschen impfen lassen - in der Ludgerikirche, die für die groß angelegte Aktion vom Kirchenvorstand angeboten wurde: „zum eigenen Schutz und zum Schutz der anderen“.

Auch zum Schutz derer, die das Impfen radikal ablehnen: Die zogen nahezu zeitgleich durch die Straßen Nordens und machten ihrem Unmut Luft, riefen laut nach „Demokratie“ und fürchteten „dass man uns die Freiheit klaut“, während die Impfbefürworter still in einer Menschenkette auf dem Norder Marktplatz standen, verbunden durch lange Schals oder Tücher. Sie hörten am Ende ihrer Versammlung Martina Hunke „We shall overcome“ singen - emotional berührend und hoffnungsvoll. Auch im Ausdruck also zwei sehr unterschiedliche Formen der Demonstration.

Rund 170 Impfgegner, schätzte ein Polizeisprecher, hatten sich gegen 18.30 Uhr am Norder Tor getroffen, viele mit Plakaten wie „Mein Körper gehört mir“ oder „Corona-Impfpflicht – nein danke“. Das Immunabwehrsystem werde durch die Impfung geschwächt, sagte ein Redner, der anonym bleiben wollte. „Alte Menschen sterben einsam, Sterbende werden im Stich gelassen“, schimpfte er angesichts der geltenden Corona-Auflagen und übte in diesem Zusammenhang deutliche Kritik an der Kirche. „Das hat mit Christentum nichts zu tun!“ Ein weiterer Sprecher machte sich Sorgen um die Meinungsfreiheit, er kritisierte vor allem die Medien. Es werde einseitig informiert, sagte er: „Sie sind nicht neutral.“ Es werde in die Grundrechte eingegriffen. „Wir machen uns Sorgen“, ergänzte er und machte deutlich, dass er die Impfung für gefährlich halte. Es dürfe nicht sein, dass man aufgrund seiner Ansicht für verrückt erklärt und diffamiert werde.

Mit dieser Aussage lag der Sprecher gar nicht so weit von den Rednern auf dem Marktplatz entfernt. Während sich laut Polizeiangaben rund 120 Impfgegner auf den Weg durch die Stadt machten, betonten sowohl Bürgermeister Florian Eiben als auch Superintendent Dr. Helmut Kirschstein in ihren Ansprachen vor mehr als 300 Impfbefürwortern, unter ihnen Landrat Olaf Meinen, dass gerade das Demokratie ausmache: dass jeder seine Meinung frei äußern dürfe, egal, wie man zu dem Thema Impfen stehe. Kirschstein erinnerte an die letzte große Demonstration in Norden im März 2020. Da sei man noch gemeinsam auf die Straße gegangen für ein menschenfreundliches Norden gegen Menschenverachtung und Rechtsradikalismus. Es sei wichtig, dass Menschen im Rahmen der Gesetze unter Beachtung der Corona-Auflagen frei demonstrieren könnten, aber die Impfgegner müssten selbstkritisch hinterfragen, wer da alles mitlaufe. Von einer Spaltung der Gesellschaft wollte Kirschstein nichts wissen: „Verschwörungstheoretiker und Zyniker und Totalfrustrierte dürfen uns nicht trennen.“

Auch Bürgermeister Eiben warnte vor jenen, die mit „rechten Parolen oder Fackelmärschen vor die Häuser von Politikern ziehen“. Denen müsse man energisch entgegentreten, egal ob geimpft oder ungeimpft. „Ich möchte in unserer Stadt keine Spaltung von Menschen, die unterschiedliche Auffassungen haben“, betonte Eiben. „Wir alle sind Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn oder Familie. Das waren wir vor Corona, und das werden wir auch noch nach Corona sein.“ Der Bürgermeister forderte dazu auf, sich gegenseitig mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Wie die Impfgegner am Norder Tor ging er auf die Grundrechte ein. Im Artikel eins des Grundgesetzes gehe es auch um die Schutzwürdigkeit des Lebens, die könne nur durch große Solidarität und Kooperation erreicht werden, das bedeute in diesem Fall, sich an die von der Wissenschaft empfohlenen Maßgaben zu halten und die Einschränkungen als „Solidarbeitrag“ mitzutragen, sagte er.

Kirschstein warb um Verständnis für die Handelnden in der Politik, die erstmals mit einer Pandemie konfrontiert seien, besonders aber für die Demokratie an sich. Wenn auch manches schiefgelaufen sei bei der Bewältigung, so habe er doch das Vertrauen in das demokratische Staatswesen nicht verloren. Dr. Volker Niehaus, der als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung sprach, erinnerte an die Pocken, die man nur durch Impfen habe ausrotten können. Der Arzt verglich Corona mit Situationen im Fußball: Sei man nicht geimpft, sei das wie eine Elfmetersituation ohne Torwart, eine einmalige Impfung entspreche dem Elfmeter mit Torwart, die zweimalige Impfung einer Freistoßsituation außerhalb des Strafraums und die dreimalige Impfung schließlich einem Freistoß mit Abwehrmauer.

Die Polizei begleitete beide angemeldete Kundgebungen, bei denen es zu keinen Zwischenfällen kam. Die Gruppen blieben getrennt voneinander und lösten sich jeweils nach einer knappen Stunde auf.

 

                          Unter teilweiser Verwendung eines Artikels und eines Fotos aus dem OSTFRIESISCHEN KURIER (Dankeschön!).