"Ich würde Sie alle wählen!"

Marienhafe, 05. September 2019

Einzige Veranstaltung zur Synodalwahl: Personen und Positionen in Marienhafe

„Ich würde Sie alle wählen!“ Dr. Joachim Kleen, der als Stellvertretender KKT-Vorsitzender souverän durch das Programm führte, klang begeistert. Und diese Begeisterung dürften viele der rund 90 Anwesenden geteilt haben. Denn alle 9 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich am Donnerstagabend in der Marienhafer St. Marienkirche vorstellten, hinterließen einen ausgezeichneten Eindruck. Nicht ganz unwichtig, denn dies war die einzige Veranstaltung zur Neuwahl der Landessynode im Sprengel Ostfriesland-Ems.

Die Landessynode ist als gewähltes Kirchenparlament das wichtigste Entscheidungsorgan der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Gewählt wird sie für jeweils sechs Jahre. Wahlberechtigt sind die rund 12.000 Kirchenvorstands-Mitglieder, die Mitglieder der Kirchenkreistage (KKTs = Parlamente der Kirchenkreise) und alle rund 1.800 Pastorinnen und Pastoren der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands.

Die einzige Wahl-Veranstaltung im Sprengel fand denn auch formal als KKT statt, eingeladen waren diesmal außerdem die wahlberechtigten Vorstände aller 20 Kirchengemeinden im Kirchenkreis Norden. Wie sich die Landessynode überwiegend aus ehrenamtlichen Laien, aber auch aus ordinierten Pastorinnen und Pastoren sowie anderen beruflich Mitarbeitenden zusammensetzt, waren auch in Marienhafe Kandidatinnen und Kandidaten aller drei Gruppen vertreten: für die Ehrenamtlichen die Immobilienkauffrau Gunda Dröge (61) aus Meppen, der Projektadministrator Ruben Grüssing (39) aus Detern, die Agrar-Ingenieurin Dr. Bettina Siegmund (56) aus Leer-Bingum sowie aus dem Kirchenkreis Norden die Kreisinspektoranwärterin Laura Götze (23) aus Norden (KV Hage), die Pressesprecherin Herma Heyken (61) aus Norden (KV Ludgeri, KKV) und der Bürgermeister i.R. Theodor Weber aus Großheide (KKT-Vorsitzender) – für die beruflich Mitarbeitenden Daniel Aldag (37) aus Leer, Kirchenkreisamts-Leiter in Meppen – für die Pfarrerschaft Pastorin Cathrin Meenken (39) aus Aurich und Pastor Martin Sundermann (60) aus Ostrhauderfehn. Hier fehlte wegen einer lange feststehenden Fortbildung im Ausland die Kandidatin aus dem Kirchenkreis Norden, Pastorin Anna Henken (37) von der Insel Baltrum.

In einer ersten Runde bekamen alle Kandidatinnen und Kandidaten einzeln die Gelegenheit, sich jeweils 5 Minuten vorzustellen: humorvoll, ernsthaft, nachdenklich, mit Hinweisen auf das eigene kirchliche Engagement, Einblicken in den persönlichen Werdegang und Ausblicken auf den womöglichen Einsatz in der neuen Synode. Dröge, Grüssing, Dr. Siegmund und Pastor Sundermann erläuterten, dass sie teils schon wiederholt in der Landessynode mitgearbeitet haben und wofür sie sich bisher engagieren konnten.

Dann folgten sechs Gesprächsrunden à 15 Minuten, zu denen jeweils drei Kandidatinnen und Kandidaten nach vorne gebeten wurden. Anfänglich verhalten, dann ohne Pause, intensiv und aus unterschiedlichen Gemeinden kamen jetzt die Fragen aus dem Publikum. Einig waren sich alle Befragten, dass die Kirche vor großen Herausforderungen stehe: finanziell wie personell, demographisch wie strukturell. Die Kirche müsse sich öffnen, auch buchstäblich ihre Kirchengebäude – aber wie weit soll das gehen? „Kirche ist Kirche“, platzte es aus einer Kandidatin heraus, „da gehört der liebe Gott rein und keine Minigolfanlage!“ Pastorin Meenken stellte die gelungene Zusammenarbeit von drei Auricher Gemeinden im Konfirmandenunterricht vor und forderte aufgrund solcher Erfahrungen mehr „Mut zur Veränderung von Strukturen“. Pastor Sundermann hielt dagegen „Strukturen gar nicht für so wichtig“, es ginge vor allem um „Menschen“. Kritische Fragen kreisten um den Abbau der Bürokratie und die Verschlankung der Verwaltung, fanden Zustimmung, aber kaum konkrete Antworten. Das Meiste sei gar nicht hausgemacht, schwappe aus der Politik herüber, etwa die immer komplizierteren Vorschriften zum Datenschutz.

Dass junge Menschen heute globaler und digitaler leben und auch die Kirche sie deshalb ganz neu in den Blick nehmen müsse, schien allen nachvollziehbar – wie aber kann es gelingen, Jüngere für das Evangelium und die kirchliche Mitarbeit zu gewinnen? Als engagiertes EC-Mitglied („Entschieden für Christus“) empfahl einer der Kandidaten „Hauskreise als wichtiges Element, um junge Erwachsene einzubinden“. Die Generation der 40- bis 50-jährigen sei erfahrungsgemäß über die Arbeit mit Kindern und Konfirmanden zu erreichen. Einigkeit bestand darin, dass Kirche noch stärker auf die Menschen zugehen und Christen in kritischen Diskussionen auch atheistische Anfragen aushalten müssten. Teils wurde es sehr persönlich: Eine Kandidatin gab freimütig zu, sie habe sich ihren „Kinderglauben“ bewahrt, um in schweren Situationen „rein emotional“ auf Gott zu vertrauen.

Wie zu erwarten, bildeten Fragen rund um die rückläufigen Finanzen der Kirche einen Schwerpunkt. Stärker als die nüchterne Einsicht in den finanziellen wie personellen Schrumpfungs-Prozess wirkten Appelle, die sich auf das eigene Engagement für Förderkreise und unkonventionelles Fundraising stützen konnten: „Wir dürfen nicht länger allein auf den Verteilschlüssel der Landeskirche hoffen, wir sollten phantasievoll Verantwortung übernehmen, um neue Geldquellen zu erschließen.“

Ob es in der Synode auch möglich sei, als falsch empfundene Entwicklungen zu stoppen und Entscheidungen zurückzunehmen? Ja, kam die Antwort aus dem Kreis der bisherigen Synodalen, aber das brauche dann auch erkennbar bessere Vorschläge, sehr viel Zeit und noch mehr Diskussionen – „aber das ist Demokratie, und das ist gut so“.

Spannend wurde es bei konkreten Fragen zur Stärkung der Gemeinden: Sollen übergemeindliche Pfarrstellen deutlich zurückgefahren werden – oder haben Funktionspfarrstellen nicht durchaus ihre Berechtigung, weil sie Menschen erreichen, die keinen unmittelbaren Bezug zur Kirchengemeinde mehr haben? Eine offene Diskussion, die sicherlich in Hannover fortgeführt wird.

Unwidersprochen blieben Aufrufe zur Stärkung der Diakonie und zur Förderung des Klimaschutzes. „Die Kirche darf gerne ein bisschen politischer werden“, sagte eine ehrenamtliche Kandidatin und verwies auch auf das nötige Engagement für Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer. Beschäftigt sich die Kirche womöglich zu sehr mit sich selbst? „Dazu gebe ich drei Antworten“, sagte ein anderer Kandidat: „Ja! Ja! Ja!“

Manche Gegensätze hätten sich bei längerer Diskussion sicherlich auflösen lassen. Denn ob die erwünschte Innovation einseitig „durch Glauben und Hoffnung“ zu erreichen sei, „nicht aus der Not heraus“ – oder ob gerade jetzt das Sprichwort gilt „Not macht erfinderisch“ und erst die Krise phantasievolle Wege einschlagen lässt: beides ließe sich sicherlich zum Wohl der Kirche zusammendenken.

In einer Schlussrunde hatte jeder Kandidat, jede Kandidatin noch einmal die Gelegenheit, die persönliche Position in nur einer Minute zusammenzufassen. Das reichte vom Appell, „mehr Geschichten von Gott“ zu erzählen, um die Menschen mit der Botschaft des Evangeliums zu erreichen, bis hin zum selbstbewussten Statement: „Ich kann Synode!“

Dankbar für kritische Fragen wie freimütige Antworten beschloss Dr. Joachim Kleen den erfrischenden Diskussions-Abend. In seinen Dank schloss er die gute Organisation durch die Marienhafer Kirchengemeinde ein. Ihm selbst und dem KKT-Vorstand dankte Superintendent Dr. Helmut Kirschstein für seine so straffe wie einfühlsame Sitzungsleitung. Hier und heute sei „Freude angesagt“, hatte der Superintendent schon zu Beginn in seiner Andacht behauptet. Es ginge „bei all unseren Planspielen“ allerdings darum, mit Gottes Gegenwart zu rechnen und „seine Anwesenheit durchzuspielen“. Mag sein, dass eben das im Rahmen dieser außergewöhnlichen Veranstaltung passiert ist.