Aktuelle Warnung vor Rechtsradikalismus

Norden-Tidofeld, 26. Januar 2019

"Alles brannte": Berliner Museumsdirektor eröffnet Sonderausstellung in Tidofeld

Mancherorts hat die Erinnerung, hat das Aufarbeiten gerade erst angefangen, anderswo sind jüdische Gemeinden bis heute ausgelöscht geblieben. Und auch bei uns in Niedersachsen, der früheren Provinz Hannover, hat es Jahrzehnte gedauert, bis wir anfingen, uns der schrecklichen jüngsten Geschichte zuzuwenden. Die neue Ausstellung „Alles brannte!“ in der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld lässt Interessierte jetzt noch einmal genauer hinschauen. Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Direktor des Holocaust-Mahnmals in Berlin, eröffnete sie jetzt im Beisein vieler Gäste.

Die Betreiber der Gedenkstätte in Tidofeld und der ökumenische Arbeitskreis Synagogenweg haben die Dokumentation, die knapp 20 Tafeln umfasst, nach Norden geholt. Neumärker war sich mit dem Arbeitskreisvorsitzenden Walter Demandt einig, dass die Geschichte jüdischer Mitbürger auch heute noch hochaktuell ist. „Antisemitismus ist ein Problem unserer Gesellschaft“, sagte Neumärker in seinem Vortrag und mahnte, dass es wichtig sei, mit allen Teilen der Gesellschaft dauerhaft im Gespräch zu bleiben. Demandt hatte seinerseits betont, wie wichtig es sei, diese Ausstellung mit Schülern und Schülerinnen zu besuchen. Es müssten unbedingt die notwendigen Kenntnisse über die Geschichte vermittelt werden, warnte er vor zunehmend aufkommendem Rechtsradikalismus, dem unbedingt entgegengetreten werden müsse.

Dokumentationsleiter Lennart Bohne schließlich hatte in seinen einführenden Worten dargelegt, wie unterschiedlich junge Menschen vor Beginn der Zeit des Nationalsozialismus in Ostfriesland und in Ostpreußen aufwuchsen. Dass ein Mädchen wie Recha Freier, 1892 in Norden geboren, schon in ihrer Kindheit Ausgrenzung erleben musste (Schild am Blücherplatz: „Hunden und Juden ist das Betreten verboten“), während die Familie Laserstein in der ostpreußischen Kleinstadt Preußisch-Holland bis 1933 kaum Veränderungen wahrgenommen habe.

Wie sich nationalistische Tendenzen entwickelten und in der Bevölkerung verinnerlichter Antisemitismus hier schnell, dort langsamer hoffähig wurde, sprach Neumärker in seinem Einführungsvortrag zur Ausstellung an. Darin geht es um den Vergleich der Provinzen Hannover und Ostpreußen. Wie hatte sich jüdisches Leben hier wie dort entwickelt, wann wurde es zerstört? Und hat man sich dessen überhaupt erinnert nach Ende des Zweiten Weltkrieges? Wenn ja, ab wann? Neumärker fasste zusammen, was auf den Tafeln in einem Extraraum der Dokumentationsstätte auf wenigen Quadratmetern nachzulesen und auf Fotos anzusehen ist. Beschrieb, dass Borkumer beispielsweise schon um 1900 Juden massiv anfeindeten: „eine antisemitische Hochburg“. Im Raum Königsberg in Ostpreußen dagegen sei es erst in den späten 1920er-Jahren zu stärkerer Radikalisierung gekommen. Tatsächlich aber habe es auch hier schon früher unterschwellig Anfeindungen gegeben.

Der Berliner Museumsdirektor gab dann einen kurzen geschichtlichen Abriss der Geschichte, sprach die „Rasseschänder“-Fotos aus Norden aus dem Jahr 1935 an, die traurige Berühmtheit erlangten, berichtete von 1293 Orten , an denen im November 1938 nicht nur die Synagogen brannten: „Das genaue Ausmaß kennt man nicht.“ In Königsberg habe es Listen gegeben, in denen alle Inhaber jüdischer Firmen aufgelistet gewesen seien, auch ihre Privatadressen: „ein Wegweiser für den aufgestachelten Mob“. Und so habe auch dort die Synagoge gebrannt, 42 Jahre nach ihrer Eröffnung.

Kindertransporte gen Großbritannien zur Rettung, Transporte gen Osten in den Tod – auch davon berichtete Neumärker. Bis 1945 noch, kurz vor Ende des Krieges, seien Menschen deportiert worden. Juden und Sinti seien doppelt vertrieben worden, beschrieb Neumärker die Zeit unmittelbar nach Kriegsende in Ostpreußen. Schließlich zeigte er in seinem Lichtbildervortrag Fotos inzwischen errichteter Denkmäler in Ostpreußen wie in Niedersachsen. Dass es oft langer bürokratischer Prozesse, gerade in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, bedurft habe, ehe Tafeln aufgestellt, Erinnerungsorte hätten geschaffen werden können. Aber es gebe eine neue Synagoge, eingeweiht am 8. November 2018. Auch hierzulande habe es gedauert, sich der Geschichte zu stellen – „und die regionale Geschichte wird noch oft ausgeblendet.“