"Das habe ich noch nie erlebt!"

Norden, 13. Februar 2012

Landesbischof Ralf Meister besuchte den Kirchenkreis Norden

Volles Programm für den neuen Landesbischof: Als 28. von 53 Kirchenkreisen der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers besuchte Ralf Meister den Kirchenkreis Norden. Eigentlich nur zwei halbe Tage – aber eng gedrängt folgten die Termine aufeinander. Am Dienstagnachmittag hatte das Oberhaupt der größten evangelischen Kirche Deutschlands über 10 Programmpunkte durchlaufen, mit Dutzenden von Menschen gesprochen, war Hunderten begegnet. Und hatte jede Menge Neues über die Ostfriesen und die kirchliche Arbeit im Norderland erfahren!

Wie bei allen Besuchen, hatte sich der Landesbischof besonders viel Zeit für ein persönliches Kennenlernen des Superintendenten erbeten. Nach dem ausführlichen Teetrinken ging es hinüber in die Ludgerikirche – vor dem Festgottesdienst stand der Besuch des Weltladens wie der Gemeindebüchereiim neu konzipierten Eingangsbereich. Der Landesbischof freute sich sichtlich über die nachhaltige Arbeit beider Frauenprojekte, fragte nach, interessierte sich für Entwicklungen im Warenangebot. Immer wieder griff er das eine oder andere Buch heraus, erwies sich als Literaturkenner und wies auf den 50. Todestag Hermann Hesses im Jahr 2012 hin: „Da komme ich gerne zu einem Hesse-Vortrag zu Ihnen nach Norden!“ Ein freundliches Angebot, das vom Bücherei-Team wie von der Ludgerigemeinde sicherlich gerne aufgegriffen wird!

Im Gottesdienst präsentierten sich klassische wie neue Kirchenmusik: Thiemo Janssen stellte die weltberühmte Arp-Schnitger-Orgel mit Toccata und Fuge d-Moll von Johann Sebastian Bach vor, als Vor- und Nachspiel ein würdiger Rahmen, wie man ihn auch in Norden nicht alle Festtage hört! Die Ludgeri Gospel Singers steuerten neben einem „Hosanna“ aus Soweto zwei Uraufführungen aus dem neuen Programm bei, was ihnen auch den Applaus des Landesbischofs einbrachte. Der predigte über Apostelgeschichte 2: das Urbild einer idealen Gemeinde. Nur ein Ideal von gestern? Nein, aus eigener Erfahrung zeigte der Bischof an konkreten Beispielen, wie hoffnungsvoll gemeindliches Leben auch in der Gegenwart sein kann. Ermutigend!

Im Anschluss hatten alle Gottesdienstbesucher die Gelegenheit, Ralf Meister durch persönliche Fragen („Offenes Mikrofon“) näher kennenzulernen. Wie hält er´s mit dem Gebet? Wie können wir es gemeinsam schaffen, Kirche attraktiv zu gestalten? Welches war denn wohl das größte „Wunder“ in seinem Leben? Und wird er sich wie seine Vorgängerin Margot Käßmann auch in die politischen Debatten einbringen, etwa um „Afghanistan“? Der Landesbischof wich keiner Frage aus, machte allerdings deutlich, dass er von plakativen Äußerungen wenig hält. Mag sein, dass das die Journalisten ärgert – aber er denke lieber einmal mehr „um die Ecke“, um allen Seiten der Wahrheit gerecht zu werden...

Bei einem Außerordentlichen Kirchenkreistag stellte Superintendent Dr. Kirschstein in der Mensa des UGN zunächst den Kirchenkreis Norden „in Bildern“ vor, unterstrich die Vorteile „überschaubarer Gemeinden“ und ließ das Ganze in die Präsentation des „Norder Modells“ münden, mit dem es gelungen sei, „gegen den Trend“ (Pfarr-)Stellen zu erhalten und Stellenanteile sogar neu zu schaffen. Der Landesbischof zeigte sich von der Initiative angetan und wunderte sich darüber, dass dieses Modell bisher . In seinem Vortrag zur „Zukunft der Kirche“ kritisierte er die Kurzsichtigkeit gegenwärtiger Planung, die allenfalls Zeiträume von zehn bis zwanzig Jahren wahrnehme. Theologisch angemessener sei es, über mehrere Generationen nach vorn zu denken und sich von statistischen Wahrscheinlichkeiten nicht lähmen zu lassen. Die Prognosen hätten nämlich im Blick auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Krisenphänomene allesamt falsch gelegen. Und wer 1987 auch nur bis 1995 vorausdachte, konnte den „Fall der Mauer“ nicht absehen – und lag völlig falsch! Nachfragen aus Reihen des KKT machten gleichwohl die konkreten Sorgen deutlich, die die Delegierten vor Ort belasten: Der allgemeine Trend zu größeren Gemeinden, zur Regionalisierung und zur Einsparung von Pfarrstellen wurde von den Nordern kritisch kommentiert, der Landesbischof darum gebeten, sich auch weiterhin für eine Stabilisierung der Pfarrstellensituation einzusetzen.

Nach einer kurzen Verschnaufpause beim gemeinsamen Imbiss ging es hinüber in die Traditionsgaststätte „Mittelhaus“. Hier sollte es zu einem Treffen mit Mitgliedern der Männerarbeit im Kirchenkreis Norden kommen. „Das habe ich noch nicht erlebt!“ zeigte sich der Landesbischof völlig überrascht: Statt der von ihm erwarteten 10 bis 15 Männer waren rund 70 erschienen! Alle 6 Männerkreise waren gut vertreten und konnten sich dem Gast mit Blick auf ihre Gründungsgeschichte, ihre Zusammensetzung und ihr Jahresprogramm vorstellen. In Hage existiert der Männerkreis seit etwa 1993, auf Norderney erst seit Oktober 2011. Erstaunlich, dass immer wieder die Visitation den Anstoß zur Gründung eines Männerkreises gab! Bemerkenswert auch, wie wichtig die Männerarbeit für die Integration Alteingesessener und Neuzugezogener ist, und wie oft sie dazu beiträgt, Männern einen neuen Zugang zur Kirche zu verschaffenen. Beim intensiven Gespräch mit dem Landesbischof wurde übrigens immer wieder herzhaft gelacht...

Der Dienstag begann im „Rummel“ des Alten Rathauses. Bei einer ostfriesischen Teezeremonie traf sich Landesbischof Meister mit Bürgermeisterin Barbara Schlag, Vertretern von Politik und Wirtschaft, Kultur und Ökumene. Der gut entwickelte Gemeinsinn in Norden, die demographische Entwicklung und die Bedeutung des Tourismus spielten ebenso eine Rolle wie soziale Probleme und die Frage nach der zukünftigen Arbeit der Kirche. Schließlich trug sich der Landesbischof in das Goldene Buch der Stadt Norden ein.

In der Gnadenkirche Tidofeld hatte sich bereits der Vorstand des gleichnamigen Vereins versammelt, um seinem geistlichen Schirmherrn den Iststand des Projekts „Dokumentationsstätte zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen“ darzustellen. Architekt Kremer führte durch den frisch renovierten Gebäudekomplex, Prof. Parisius entwickelte den geschichtlichen Hintergrund, Geschäftsführer Lambertus zeigte ein exemplarisches Zeitzeugeninterview, Zbigniew Kullas stellte den deutsch-polnischen Jugendaustausch vor. Jede Menge Informationen, die beim Landesbischof gut ankamen – in seiner eigenen Familie sei er mit der Vertriebenen-Problematik aufgewachsen, das Thema der Integration in Vergangenheit und Gegenwart liege ihm sehr am Herzen – und dass es nötig war, viele Klinken zu putzen, um bei diversen Stiftungen die nötigen Finanzen einzuwerben, sei ihm klar. „Auch ich werde noch eine Klinke putzen“, versprach der Bischof im Blick auf die erwünschte Restfinanzierung durch die Hannoversche Landeskirche.

Ein weiterer Höhepunkt: die Vorstellung des Projekts „Tod und Herrlichkeit“ in Dornum. Im Rahmen einer Andacht – die St.Bartholomäuskirche war sehr gut besetzt – übergab Landesbischof Meister die restaurierte Häuptlings-Gruft der Öffentlichkeit. Diese sei in einem grenzüberschreitenden europäischen Projekt (EDR) aus einem „Notfall der Archäologie“ zum „i-Tüpfelchen“ jahrzehntelanger erfolgreicher Sanierungsarbeiten an der St.Bartholomäuskirche und ihrer berühmten Gerhard-von.Holy-Orgel geworden, wie Ortspastor Andreas Simon zur Begrüßung ausführte. Entscheidend dafür, den „verborgenen Schatz“ restauratorisch zu heben, waren nicht zuletzt Anstöße aus dem Dornumer Kirchenvorstand. Dr. Bärenfänger von der Ostfriesischen Landschaft und seine Kollegin Dr. König unterstrichen das Alleinstellungsmerkmal dieser Restaurierung. Obwohl es traditionell 10 „Herrlichkeiten“ in Ostfriesland gäbe, sei nirgendwo sonst eine derartige Grablege erhalten. Der Landesbischof nahm den Begriff für die Häuptlingsherrschaft auf und sprach von Ostfriesland als einem „Land der Herrlichkeiten Gottes“, die sich auch in einem bestimmten Umgang mit den Zeugen der Vergangenheit manifestiere. „Sage mir, wie Du mit den Verstorbenen umgehst, und ich sage Dir, wie Du es mit den Lebenden hältst“, aktualisierte der Bischof den Gedanken. Im Anschluss gehörte er zu den ersten offiziellen Besuchern der Gruft. Sicherlich ein großer Tag für Dornum!

Zum gemeinsamen Essen in der Dornumer Beninga-Burg waren die Mitglieder des Kirchenkreisvorstands, die KKT-Ausschuss-Vorsitzenden und der Kreisjugendwart eingeladen. Hier bestand noch einmal die Möglichkeit, mit dem Landesbischof intensiv über kirchliche Entwicklungen und persönliche Perspektiven zu sprechen.

Im Anschluss leitete Hermann Rector den Gast als kundiger Führer durch den Ort, erläuterte die historischen Geschlechterfolgen der Häuptlinge, wies an der einzigen in Ostfriesland erhaltenen Synagoge nachdrücklich auf das Schicksal der Dornumer Juden hin und ließ den Spaziergang im Dornumer Wasserschloss enden. Bei einem kurzen Treffen mit der Schulleiterin erfuhr der Landesbischof von der problematischen Perspektive der hier untergebrachten Realschule – und von dem Ansinnen, diesen außerordentlichen Schulstandort womöglich mit externer Hilfe zu halten...

So begleiteten den Landesbischof nicht nur eine Fülle von Informationen und Impulsen, sondern auch eine ganze Reihe konkreter Anliegen, die er mit auf die Fahrt ins ferne Hannover nahm. Die Verantwortungsträger im Kirchenkreis Norden zeigten sich dankbar für die deutliche Wertschätzung und hilfreiche Ermutigung durch ihren neuen Landesbischof.