Kirche: Glaubwürdig nach unglaublicher Brutalität

Norden, 17. Juli 2012

Bischof von Gulu referiert über Kriegsgreuel und kirchliche Friedensarbeit

Bischof Gakumba warnte seine etwa 50 Zuhörer: „Wenn    Sie das schwer ertragen können, dann schließen Sie bei den nächsten Bildern bitte die Augen!“ Tatsächlich war es schwer auszuhalten, was Johnson Gakumba über die Kriegsgreuel der sog. „Lord´s Resistance Army“ (LRA) vorführte. In Bildern zeigte er Menschen mit abgeschnittenen Lippen und verstümmelten Gliedmaßen, sogar Leichen, aus denen die Mörderbanden das Fleisch herausgeschnitten und die Überlebenden gezwungen hatten, es zu essen. „Das passierte 200 Meter von meinem Haus entfernt,“ unterstrich Rev. Patrick Obonyo die unmittelbare persönliche Betroffenheit der ugandischen Delegation, die zur Zeit den Kirchenkreis Norden besucht.

Noch 2003 sprach die UN von der schlimmsten humanitären Katastrophe weltweit, die sich im Norden Ugandas ereigne. Bevor es gelang, Joseph Kony, den grausamen Führer der LRA und seine marodierenden Truppen, 2006 aus dem Land zu vertreiben, richtete er unvorstellbare Massaker unter der Zivilbevölkerung an. 80% seiner Armee bestand aus Kindern: Etwa 20.000 waren es, die er verschleppt und unter brutalster Gewaltandrohung zum Mitmachen gezwungen hatte.

Kein Wunder also, dass de  „Friede“ in Nord-Uganda von Traumatisierung und Entwurzelung geprägt ist. 1,7 Mio. Menschen gelten als entwurzelt, was sich in einer Vielzahl psychischer Erkrankungen, wachsender Prostitution, Schulverweigerung vieler Jugendlicher und allgemeiner Verrohung niederschlägt. Etwa 61% der Bevölkerung Nord-Ugandas leben heute in absoluter Armut. Hier findet sich die höchste Rate der HIV/Aids-Infizierten, gleichzeitig aber auch die höchste Zahl an Schwangerschaften, insbesondere unter Teenagern. 82% der verheirateten Frauen und 50% ihrer Männer sind Analphabeten.

Eine gewaltige Herausforderung also für alle, die den betroffenen Menschen helfen wollen! An vorderster Front stehen hier die Kirchen. Bischof Johnson Gakumba von der Anglikanischen Kirche von Uganda stellte sich denn auch als Repräsentant des ökumenischen „Uganda Joint Christian Council“ vor, eine Initiative religiöser Führungspersönlichkeiten, die auch eng mit muslimischen Vertretern und kommunalen Verantwortungsträgern zusammenarbeitet. Gakumba ist deren Vorsitzender.

Überhaupt ist seine protestantische Kirche vielleicht am ehesten auf die schwierigen Herausforderungen eingestellt: Schon während des    über 20 Jahre währenden Terrors bemühte sich vor allem die anglikanische Kirche um einen Friedensprozess. Der gerade zurückgetretene, in der Hauptstadt Kampala residierende Erzbischof Henry Luke Orombi – die Norder Delegation war noch im Januar 2012 sehr freundlich von ihm empfangen worden – hatte gleich nach seiner Wahl im Feb. 2004 die Spitzen der Kirche zusammengerufen und sich beim Besuch eines Flüchtlingslagers der brutalen Realität gestellt. Aber schon Ende der 90er Jahre gab es überkonfessionelle kirchliche Initiativen, die mehrfach Treffen zwischen der LRA und Regierungsvertretern arrangierte – ein lebensgefährliches Unterfangen, wurden allzu friedensfreundliche Rebellenführer doch nach den Gesprächen eigenhändig von Joseph Kony erschossen. Schließlich wurde unter kirchlicher Federführung ein Friedensabkommen vorbereitet, dass die Einstellung aller Feindseligkeiten, die Entwaffnung und Reintegration der Rebellen, die Rückführung der Verschleppten, eine allgemeine Amnestie und einen groß angelegten Versöhnungsprozess vorsah.

Obwohl er diesen Planungen zugestimmt hatte, erschien LRA-Führer Kony nicht zur Unterzeichnung des Vertrages – seine Angst war berechtigt, wird er doch vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit internationalem    Haftbefehl gesucht. Seit 2006 befindet er sich immerhin außer Landes und auf der Flucht, zuletzt in Zentralafrika. Verschleppte und Vertriebene konnten in großer Zahl zurückkehren. Der fortgesetzten kirchlichen ist es auch zu verdanken, dass USA und UN überhaupt auf den lange Zeit verschwiegenen Konflikt aufmerksam wurden und die Weltöffentlichkeit von den Greueln in Nord-Uganda erfuhr.

Die Folgen der Entmenschlichung sind ebenfalls grausam: Wo Menschen nach Jahren der Flucht innerhalb Ugandas wieder in ihre angestammten Gebiete zurückkehren, werden Konflikte um den Landbesitz häufig mit Gewalt ausgetragen. Die Versöhnung ehemaliger Täter und ihrer Opfer ist höchst schwierig, gerade viele Ältere wollen keine Amnestie, sondern Rache. Die Infrastruktur im Norden wurde durch die Kriegshandlungen völlig zerstört. Der Bischof beklagte aber auch die seelische Zerstörung der Menschen: Durch die permanente Notlage und das Angewiesensein auf auswärtige Unterstützung habe sich eine Empfänger-Mentalität festgesetzt. Viele Menschen seien buchstäblich „faul“ geworden. Sie trauten sich selbst auch nichts mehr zu. Viele gerieten an Alkohol und Drogen, die    inner-familiäre Gewalt gegen Frauen sei ein besonderes Problem. In dieser desolaten Situation treibe die Hoffnungslosigkeit manche Menschen zurück in den Aberglauben traditioneller Kulte.

Das kirchliche Programm, das der Bischof im Schlussteil seines Vortrags skizzierte, ziele demgegenüber auf Hoffnung und Menschenwürde („restoring hope and dignity“). Bei allen Aktivitäten seiner Kirche gehe es um eine ganzheitliche Wiederherstellung der Menschlichkeit, die geistliche wie moralische, soziale wie wirtschaftliche Aspekte umfasse.

Gerade um der Entwurzelung entgegenzuwirken, bedeutet das breit angelegte Kirchenbau-Programm seiner Diözese die Schaffung einer neuen geistlichen Heimat. Jedes Kirchengebäude sei ein Zentrum zur  Verbreitung von Menschenwürde und Mitmenschlichkeit, zumal Predigt und Seelsorge die einzige Chance zur Orientierung und Behandlung traumatischer Menschen biete. Im Bild zeigte der Bischof eine ganze Reihe aktueller Bauten, die für die Gläubigen buchstäblich Schutz bieten – vordergründig gegen den massiven Regen, der während der Regenzeiten sturzbachartig niedergeht. Ausführlich führte Johnson Gakumba die neue Kirche von Agung vor. Sie wurde zu zwei Dritteln mit Geldern des    Norder „Freundeskreises Uganda“ finanziert und wird am 11. August offiziell eröffnet. Nach 108 Jahren, so der Bischof voller Dankbarkeit und nicht ohne Stolz, stehe nun dort, wo die Missionare zum ersten Mal Acholi-Land (den Norden) betraten und symbolträchtig niederknieten, erstmals ein Gotteshaus. Er dankte ausdrücklich den deutschen Freunden und Spendern.

„Refocusing the people to God“ (die Menschen wieder auf Gott zu konzentrieren) bedeutet aber auch die engagierte Arbeit in Frauengefängnissen, wo u.a. Grundkurse des christlichen Glaubens veranstaltet werden. Andere Beispiele belegen das Engagement für die Jugend: In    einem „Vocational Trainig Center“ (Berufsschul-Zentrum) lernen ehemals verschleppte Kinder Grundfertigkeiten, etwa im Mauern, Schreinern oder Frisieren. Hier sei die am Dienstag-Vormittag gerade besuchte Norder Conerus-Schule sicherlich ein Vorbild, so der Bischof. Er freute sich darüber, dass spontan vier SchülerInnen der Altenpflege ihre Bereitschaft erklärt hatten, nach Gulu zu kommen und eine mobile Altenpflege aufzubauen.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Frauenarbeit: In einem speziellen „Women Development Center“ würden Frauen u.a. zu Friseusen oder Schneiderinnen ausgebildet. An dem besonders ergreifenden Beispiel einer ehemals kriegsverschleppten Frau zeigte der Bischof auf, wie konkret kirchliche Einrichtungen den Opfern des Krieges helfen: Diese Frau kam „mit einem Baby aus dem Busch zurück“, wurde deshalb von allen ehemaligen Nachbarn gemobbt, konnte sich durch die kirchliche Ausbildung aber einen neuen Stand    verschaffen, brachte es zu einem eigenen Haus und baute schließlich ein kleines Hotel – jetzt wird sie von allen anerkannt...

Eine Alphabetisierungskampagne für Erwachsene, Kurse für Landwirtschaft und Aids-Bekämpfung unter Jugendlichen, Häuser für Waisenkinder (mit dem Ziel, in jeder Kirchengemeinde ein solches Haus einzurichten), Intensivierung der Männerarbeit (mit dem Ziel, Männer immer stärker aus dem Nichtstun in die Verantwortung zu rufen), der Aufbau verbundener Kindergärten und Grundschulen (zehn davon sind bereits neu gegründet): all das zeigt den umfassenden Einsatz der protestantischen Kirche im Norden Ugandas. In Kursen für Traumaberatung und in einem besonderen Programm „Healing of memories“ geht es schließlich um seelsorgerliche Heilungsprozesse und Heilungsrituale, mit denen die vielen Kriegsopfer lernen sollen, ihre furchtbaren Erlebnisse zu bearbeiten.

Dankbarer Applaus stand am Ende dieses höchst informativen Abends – und die Erkenntnis, dass die Unterstützung der ganzheitlichen kirchlichen Arbeit im Norden Ugandas jeden Cent wert ist.

Die Begegnung unter dem Motto "Frieden stiften, wo Hass gesät wurde" wird mit erheblichen Mitteln durch den Fonds "FRIEDEN STIFTEN" der Hannoverschen Landeskirche ermöglicht.