Harry Potter und der Herr der Ringe

Norden, 09. April 2008

Kirchenkreiskonferenz zur Frage "neuer Mythen" in der Postmoderne

Einen spannenden Vortrag hielt Wolfgang Blaffert (Hannover), Pastor im Landesjugendpfarramt und dort als Referent für Theologie, Jugendforschung und Fortbildung am Puls der Zeit: Nein, bei "Harry Potter" und dem "Herrn der Ringe" handele es sich nicht um "Mythen" im eigentlichen Sinne, wohl aber um "postmoderne Reaktionen auf die Moderne".

Zur "Postmoderne" gehöre die Unverbindlichkeit der Lebensentwürfe, das ständige Sich-selbst-erfinden" (und "-erfinden-müssen") der Menschen und das Fehlen übergeordneter, allgemein anerkannter Deutemuster. Hier böte die "Fantasy"-Literatur Entwürfe einer Welt, in der die entscheidenden religiösen Fragen vorkommen und am Ende der Sieg des "Guten" über das "Böse" stabilisierend wirken könne.

"Harry Potter" und der "Herr der Ringe" sind aber eher als "Märchen" zu verstehen. Ihre Hauptfiguren eignen sich für den "postmodernen" Menschen gut zur (freilich unverbindlichen) Identifikation - sie können damit "entlastend" wirken. Hier sieht Blaffert allerdings entscheidende Unterschiede zu den biblischen Personen, etwa zu Mose oder Jakob: Märchen seien dadurch charakterisiert, dass die Hauptfiguren ihre Persönlichkeit entfalten und ihre immer schon gegebene Idendität letztlich durchsetzen. In der Bibel komme es dagegen zu massiven Brüchen in der Biographie, und durch die neue Beziehung zu Gott entstünden völlig neue Lebensmuster. Diese Muster lassen eigene Grenzen erkennen, weisen immer auch zur Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen und wecken "Phantasie" zum Einsatz für eine gerechte Welt, für Schwache und Zu-kurz-gekommene.

Die rege Diskussion in der Kirchenkreiskonferenz rankte sich denn auch nicht nur um eigene Eindrücke zu den Werken von Tolkien und Rowling, sondern um Fragen zur Situation der Menschen in der "Postmoderne": Selbst-erfindung, Unverbindlichkeit, Entscheidungsdruck, Individualismus...

Ein möglicher Schluss: Evangelische Predigt kann durchaus Weisheits-Elemente moderner Märchen aufnehmen. Es besteht aber auch ein Konkurrenz-Verhältnis: Pastorinnen und Pastoren werden in ihrer Predigt nur dann überzeugend wirken, wenn sie ihrerseits individuell erkennbar hinter ihrer Botschaft stehen. Andererseits erhebt diese Botschaft nach wie vor den Anspruch auf eine "höhere" Verbindlichkeit, die über den postmodernen Individualismus hinausgeht - und ihn kritisch in Frage stellt.