Dokumentationsstätte als "Brücke ins Hier und Jetzt"

Norden-Tidofeld, 27. Oktober 2017

"Idealbesetzung": Lennart Bohne ist neuer Pädagogischer Leiter in Tidofeld

Kein Zweifel, die Stelle ist wie für ihn geschaffen: Lennart Bohne ist seit dem 1. Oktober pädagogischer Leiter in der Gnadenkirche Tidofeld. Sein Schwerpunkt bisher: Mitarbeit in Museen, Dokumentationsstätten und dabei fast immer befasst mit Interviews. Besser hätte er zur Dokumentationsstätte in Tidofeld kaum passen können, basiert die Sammlung dort doch in erster Linie auf Zeitzeugeninterviews.

Lennart Bohnes Arbeitsfeld lag bisher vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach seinem Studium (Politikwissenschaften, Soziologie, Kommunikationswissenschaften in Münster, Abschluss Magister Artium) hat er in Berlin dieAusstellung „Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus“, bei der es um die gezielte Tötung von psychisch Kranken und Menschen mit Behinderungen ging, mit vorbereitet. Anschließend hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ an dem Interviewprojekt „Sprechen trotz allem“ mitgearbeitet und in diesem Zusammenhang auch Workshops für Schulklassen vorbereitet und geleitet.

In Tidofeld haben sich die Verantwortlichen genau so jemanden gewünscht. 2014 war Anton Lambertus gegangen, der wesentlich am Aufbau der Tidofelder Dokumentationsstätte mitgearbeitet und dafür viele Interviews mit Betroffenen geführt hatte. Bekanntlich beherbergt die Gnadenkirche Tidofeld seit 2013 eine Dauerausstellung mit dem Thema „Flucht, Vertreibung, Integration“. Menschen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 als Flüchtlinge und Vertriebene ins Barackenlager nach Tidofeld kamen, sind hier noch einmal zu hören, sie erzählen von ihren Erinnerungen an die Erlebnisse damals und ihren weiteren Lebensweg.

Schon seit Langem waren die Verantwortlichen des Vereins Gnadenkirche Tidofeld auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter, der den Ort bekannter, ihn zu einem außerschulischen Lernort machen soll. Seit Jahren engagiert ist Anna Jakobs, sie führt die Geschäfte des Vereins, seit dem letzten Jahr begleitet von einem Bundesfreiwilligendienstler.

Lennart Bohne will künftig den pädagogischen Part mit Leben füllen. Nach 16 Jahren in Berlin und Köln hat ihn die neue Aufgabe in der alten Heimat schon richtig gepackt. Bohne ist in Aurich geboren und in Norden aufgewachsen. 2001 hat er hier sein Abitur gemacht und kehrt nun mit seiner Familie zurück. Auch Bohnes Frau stammt aus Norden, beide erwarten derzeit ihr zweites Kind.

Es gebe bereits einen Kooperationsvertrag mit der Conerus-Schule, erzählt er, weitere Kontakte zu anderen Schulen will er knüpfen. Bohne wird Pädagogen auf Wunsch komplette Module mit jeweils aktuellen Bezügen zur Verfügung stellen, die sie für die Schüler in der Dokumentationsstätte nutzen können. Er wird aber auch die Arbeit mit und an den Interviews sowie an den zahlreichen Exponaten fortführen, die dem Verein von Vertriebenen zur Verfügung gestellt worden sind. „Die Sammlung ist ein Schatz“, sagte Bohne.

Schulklassen, Konfirmandengruppen, aber auch Erwachsene möchte er gezielt auf das Thema „Flucht, Vertreibung und Integration“ stoßen. Der neue pädagogische Leiter wird auch vierteljährlich Veranstaltungen anbieten – Vorträge, Workshops, Zeitzeugengespräche, und den Blick dabei nicht allein auf die Geschichte, sondern vor allem auch auf Gegenwart und Zukunft lenken, immer mit dem Schwerpunkt persönlicher Lebensgeschichten. Die Ausstellung solle eine Brücke sein ins Hier und Jetzt, erklärte Bohne.

Vereinsvorsitzender Dr. Helmut Kirschstein ist einfach nur froh, dass es jetzt gelungen ist, das Team und damit das Angebot zu vergrößern. Finanziert wird die halbe Stelle vor allem mit Mitteln der Landeskirche aus Hannover, dazu kommen Gelder vom Landkreis und von der Stadt Norden. Dass das Ganze zunächst nur für ein Jahr gesichert ist, schreckt weder Bohne noch Kirschstein. Beide sehen den neuen Arbeitsplatz als Einstieg in eine langfristige Zusammenarbeit. Kirschstein hofft zudem auf das Projekt „Friedensarbeit“ der Landeskirche, das, möglicherweise schon ab 2018, konkret Einrichtungen unterstützen solle, in denen Friedensarbeit geleistet werde.

Genau in diese Richtung will Bohne aktiv werden. Ihn reizt die neue Tätigkeit an einem historischen Ort, wie er es formulierte. Hier sei Lernen aus der Geschichte möglich. „An dieser Stelle wird wie durch ein Brennglas die Geschichte von Flucht und Vertreibung sowie von Integration der Heimatvertriebenen in die bundesdeutsche Gesellschaft deutlich.“

Mit herzlichem Dank an den Ostfriesischen Kurier (Text)!