Reformatorische Zeiten: Lektorin als Gottesgeschenk

Norden, 30. April 2017

Mit Liturgie und Solo-Gesang: Sabine Sandmann in Andreasgemeinde eingeführt

Ein Gesangs-Solo mit glockenklarer Stimme: das hat man zur Einführung einer Lektorin noch nicht gehört! Eine gelungene Überraschung auch deshalb, weil die Einzuführende selbst dieses Solo übernommen hatte! „Nur den Saum deines Gewandes“ lautete der inhalts-reiche Titel, den die „Ansing-Gruppe“ der Norder Andreasgemeinde beisteuerte – und Sabine Sandmann sang die erste Strophe beeindruckend schön, solistisch und ohne jede Begleitung. Ganz offenbar hat die neue Lektorin ein Faible für die Musik: Sie gestaltete auch den gesamten Eingangsteil der Liturgie so souverän, als wäre ihr das evangelische „Kyrie eleison“ in die Wiege gelegt.

Tatsächlich wuchs Sabine Sandmann aber in einem katholisch geprägten Umfeld auf und wurde an einer Klosterschule unterrichtet, wie Superintendent Dr. Helmut Kirschstein im Zuge der Einführung verriet. Nach ihrem Umzug in die Küstenstadt schloss Sabine Sandmann sich zunächst der Norder Freien Evangelischen Gemeinde an, bevor sie sich mit ihrer ganzen Familie für die Andreasgemeinde entschied. Hier gestaltete sie bereits mehrere Gottesdienste mit Pastorin Ursula Schmidt-Lensch und absolvierte den kürzlichen Lektorenkurs erfolgreich.

Im gut besuchten Sonntagsgottesdienst wurde sie nun auch offiziell in ihr Amt als Laienpredigerin eingeführt. Superintendent Dr. Kirschstein nahm in seiner Predigt die Kritik des Propheten Hesekiel an den „Hirten“ seiner Zeit auf: Mit dieser Kritik beschwor Hesekiel schon vor 2.500 Jahren „reformatorische Zeiten“ herauf, in denen Gott selbst sich seiner „Herde“ annehmen würde. So habe Gott auch vor 500 Jahren jene falschen „Hirten“ zur Rechenschaft gezogen, die lediglich um ihren eigenen Vorteil kreisten. Gott selbst setzte neue Verantwortungsträger ein, so glaubten es Martin Luther und seine Mitstreiter: Seit der Reformationszeit heißen die evangelischen Gemeindeleiter „Pastoren“ (lat. für „Hirten“). Entsprechend „reformatorisch“ handelte die „Bekennende Kirche“ zur Nazizeit: Sie sorgte durch ihre illegalen Predigerseminare für neue „Hirten“, als viele Pastoren der menschenverachtenden Ideologie folgten und ihre Gemeinden im Stich ließen.

Kritisch stellte der Superintendent fest, dass der Weheruf über jene „Hirten“, die „sich selbst weiden“ (also lediglich um ihre eigene Befindlichkeit kreisen), auch heute aktuell sei: Allzu oft beschäftige man sich in den Kirchenleitungen, in den Kirchenvorständen und unter Pastoren nur noch mit sich selbst. Statt immer neuer Milieuanalysen und Strukturprogramme brauche die Kirche mehr „Gottvertrauen und Christushoffnung“. Es könne allerdings sein, dass Gott selbst „uns durch die Krise wieder auf das Wesentliche bringen will“, sagte der Superintendent. Denn mitten in der Krise schenke Gott Predigerinnen und Prediger, die im Lektorenamt vollkommen auf das Wort konzentriert sein könnten, ohne sich um Verwaltungsfragen und Finanzangelegenheiten kümmern zu müssen. „Sie sind für mich ein Gottesgeschenk“, rief Dr. Kirschstein der neuen Lektorin Sabine Sandmann zu. Und sah in dem Umstand, dass es in der evangelischen Kirche nie zuvor so viele Laienprediger gegeben habe, ein Indiz für „reformatorische Zeiten“ in der Gegenwart.

Im Anschluss an die feierliche Einsegnung überreichte Pastorin Ursula Schmidt-Lensch für ihren verhinderten Ehemann (Sprengel-Lektorenbeauftragter Pastor Marten Lensch) eine selbstgestaltete Kerze mit dem Wochenspruch für den „Hirtensonntag“ Miserikordias Domini. Kirchenvorsteherin Janna Schoen schenkte der neuen Lektorin „die Grundlage“ für alles weitere Wirken als Predigerin: eine neue Bibel.

Zahlreiche Gratulanten ließen es sich nicht nehmen, ihre Glück- und Segenswünsche persönlich zu überbringen. Der Vormittag endete in einer großen Tee- und Kaffeerunde, für die sich viele Gemeindeglieder Zeit nahmen.

FOTO (v.l.n.r.): Superintendent Dr. Helmut Kirschstein, Kirchenvorsteherin Janna Schoen, Lektorin Sabine Sandmann, Pastorin Ursula Schmidt-Lensch