Mit Katharina Luther am Tisch des Reformators

Marienhafe, 23. September 2017

Elisabeth Haugs Kammerspiel als weiterer Höhepunkt im Jubiläumsjahr

Bei den „Luthers“ war jede Menge los. Höchst private Auseinandersetzungen würzten das Leben im Haus des großen Reformators. Er war eben nicht nur ein bedeutender Theologe, sondern auch ein manchmal nicht ganz einfacher Ehemann und bisweilen wohl überforderter Familienvater. Wer hätte da nicht gerne einmal hineingeschaut... Wunderbarer Weise erfüllte sich dieser Wunsch am Sonnabend in der Marienhafer Kirche: Die fiktiven „Tischreden der Katharina Luther“ führten das Publikum mitten hinein. Dass es zwischen Martin und Katharina höchst menschlich zuging, zelebrierte Elisabeth Haug, Schauspielerin aus Berlin, mit theatralischer Intensität. Die einzelnen Szenen wurden dabei von Jacob David Pampuch auf der Flamenco-Gitarre kongenial unterbrochen und einfühlsam begleitet.

Gekonnt machte die Schauspielerin das Verhältnis der Geschlechter zum Dreh- und Angelpunkt der familiären Gespräche. Dabei mischten sich historische Besonderheiten und aktuelle Fragestellungen, ohne dass man beides auseinanderhalten konnte. Die farblich ausgeleuchtete Marienkirche eröffnete mit ihrem stimmigen spätmittelalterlichen Ambiente nicht nur intellektuelle Einsichten, sondern unterstrich auch den emotionalen Zugang.

Anhalt hatte das Ganze an jenen Tischgesprächen, die Martin Luther selber führte. Sie wurden von seinen Schülern nachweislich dokumentiert und lassen die Nachwelt staunen über das teils hemdsärmelige, teils weise Auftreten des Reformators in den eigenen vier Wänden. Geschickt verwob Elisabeth Haug zeitgeschichtliche Realitäten ins Kammerspiel: So erfährt der Besucher, dass die entlaufene Nonnen Katharina von Bora mit 24 Jahren eigentlich schon erstaunlich alt war, als der ehemalige Mönch sie heiratete („und eine Schönheit war ich auch nicht...“). 11 verwaiste Kinder beherbergt sie jetzt an ihrem Tisch, dazu die 5 eigenen, außerdem noch 3 Witwen aus der Verwandtschaft und die zahlreichen Scholaren – oft sind mehr als 30 Münder zu stopfen. Diese Herausforderung ist für ihren gottesfürchtigen Ehemann offenbar ohne Belang, während die praktisch orientierte Katharina sich sorgen muss – immerhin trägt sie die Verantwortung, „als hätten wir eine Herberge zum geduldigen Lamm“.

Dass Martin Luther seine tatkräftige Ehefrau gerne mit „mein Herr Käthe“ titulierte, ist verbürgt. So lässt die kritische Frage Katharinas, warum eigentlich nur die Frau dem Manne, nicht aber der Mann seiner Frau gehorchen müsse, einen realistischen Hintergrund erkennen. Schließlich gehorche sie selbst ja auch den Kindern, wenn diese ihre Bedürfnisse einklagten...

Elisabeth Haug gestaltet ihre Katharina als lebenskluge, von Erfahrungswissen und Weisheit geprägte Frau. Die typischen Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern geben ihr Anlass, das Frieden-stiften in der Ehe als Vorbild für die Gesellschaft zu feiern: „Wäre nicht Frieden im ganzen Land, wenn alle so verfahren würden?“ Sie traut sich, den Reformator mit seinen eigenen theologischen Einsichten zu konfrontieren, um ihn aus der Depression zu reißen: „Ich mag´s nicht leiden, dass mein Gemahl etwas anderes lebt, als er lehret.“ Stattdessen mahnt sie ihn zu Dankbarkeit und Zufriedenheit, bereitet dem Reformator aber auch ganz praktisch einen Tee gegen die „Unlust“: aus Schafgarbe, in Rotwein angesetzt. Und singt dazu mit glasklarem Sopran einen Luther-Choral: „Nun freut euch, lieben Christen g´mein, und lasst uns fröhlich springen...“

Überhaupt redet diese Katharina nicht nur, sondern macht sich ständig zu schaffen: räumt Essen und Trinken her und den Tisch wieder ab, flechtet sich den Zopf, tanzt auch einmal losgelöst durch den Raum... Wir erfahren, dass Pferdemist in Wein gekocht gut gegen den Husten ist, dass Furcht krankmacht und das Weglaufen vor der Pest sowieso nicht hilft. Freilich: „Glauben ist ein schweres Handwerk“, zitiert sie den Reformator – und erinnert ihn umso dringlicher an das Vertrauen auf die Auferstehung.

Manches lässt nicht nur staunen, sondern auch zurückfragen: Ob Katharina wohl tatsächlich gegen Martins Scham-Gefühl („so ein kleines Gefühl passt nicht zu dir“) gesprochen hätte, um ihm Mut zu machen, sich an den „Rundungen“ ihrer Magd zu freuen, die Gott ja immerhin auch geschaffen habe? Auch der Umgang mit Katharinas Trauer über ein verlorenes Kind irritiert: „Lass mich doch weinen!“ fordert sie ihren Mann auf, in Tränen löse sich der Hader. Um dann den Tod des Babies mit ganz „natürlicher“ Theologie zu bewältigen: Es sei eben nicht alles lebensfähig, was die Natur hervorbringe. Sie selbst wisse das sehr gut und könne sich damit trösten – ihrem Mann müsse sie aber vorwerfen: „Du sitzt nur über deinen Büchern, gehst nicht hinaus zu den Bäumen...“

Spannend wird es besonders, wenn theologische Dispute einfließen. Biblisch belesen, mag sich Katharina nicht auf das Spirituelle beschränken, sondern klagt die diakonische Zuwendung ein: „Ich bin Martha und Maria zugleich.“ Wort und Tat gehören für sie zusammen wie Mann und Frau, „damit eines das andere ergänze“. Mit eindeutiger Botschaft: „Frauen sind anders. Sie blicken voraus, und weniger zurück. Du, Martin, wirst aus Schaden klug – und ich aus Vorsicht.“

Viel Weisheit, manch Nachdenkliches – und alles in allem ein wunderbares Vergnügen.