"We shall overcome - today"

Kampala / Gulu / Kitgum / Norden, 27. Januar 2015

Intensiv, anstrengend, beglückend: Gelungene Partnerschaftsreise nach Uganda

Am Anfang stand ein Besuch in der Deutschen Botschaft von Kampala, am Ende eine Audienz beim ugandischen Erzbischof, dazwischen lag ein dichtes Besuchs- und Begegnungsprogramm: 16 Tage lang war eine Delegation des Kirchenkreises Norden unterwegs, um in Uganda die Partnerschaft zu zwei Diözesen der Anglikanischen „Church of Uganda“ zu festigen und weiter zu entwickeln. Unter der Leitung von Superintendent Dr. Helmut Kirschstein bereiste die 9-köpfige Gruppe vor allem den Norden Ugandas, der bis zum Jahr 2006 durch jahrzehntelange Kriege und unvorstellbare Grausamkeiten geprägt wurde.

Fixpunkte der Planung setzten die Festgottesdienste an den beiden Sonntagen der Reise. In Agung (Diözese Gulu) wie in Paloga (Diözese Kitgum) hatte der „Freundeskreis Uganda“ teils entscheidend zum Bau der neuen Kirchengebäude beigetragen. Entsprechend herzlich war dort der Empfang. Mit traditionellen Musikinstrumenten und überschäumender Freude begrüßten die Gemeinden ihre deutschen „Brüder und Schwestern“.

Bewegende Gottesdienste, gemeinsame Basis

Die Kirchen waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Unübersehbar war wieder einmal die große Zahl der Kinder und Jugendlichen. Superintendent Dr. Kirschstein unterstrich in seinen englisch-sprachigen Predigten die Bedeutung der Liebe Gottes für Menschenwürde, Frieden und Verständigung. Aber nicht nur er, die gesamte Delegation trug zu diesen Gottesdiensten bei: In Agung präsentierten die Norder eine typisch lutherische Gottesdienst-Liturgie, in Paloga trugen sie die Hymne der US-amerikanischen Freiheitsbewegung vor: „We shall overcome“ - Gänsehautmomente, als sich die gesamte Gemeinde aus Schwarzen und Weißen schließlich an den Händen fasste und miteinander intonierte: „Black and White together – today!“

Ruf nach Unterstützung, beeindruckendes Engagement

Vor Ort bedachten die Norder weitere Hilfsmöglichkeiten. Während der Bau einer Berufsschule in Paloga weiter auf sich warten lässt, könnte der dringend benötigte Kindergarten in Agung noch in diesem Jahr gebaut werden. Hier steht bereits das neue Pfarrhaus, das auch die Kindergartenleiterin beherbergen soll – allerdings fehlt immer noch das Dach, das ohne finanzielle Unterstützung kaum gedeckt werden kann. Viele weitere Projekte bieten sich an. In Gulu hat ein tropischer Sturm vor Weihnachten einen großen Baum entwurzelt und in das Dach des kirchlichen Waisenhauses geschmettert – für wenige tausend Euro könnten die zerstörten Räume wieder aufgebaut werden. Auf dem gleichen kirchlichen Gelände leistet eine Grundschule vorbildliche Arbeit, indem sie etwa 50 Behinderte (darunter 25 blinde Kinder) in den Unterricht und die Lebensgestaltung der 600 Schüler integriert – gelungene „Inklusion“ auf ugandisch! Nebenan engagiert sich die erst kürzlich gegründete Berufsschule stark in sozialer Begleitung ihrer Schützlinge: In „Familien“ zusammengefasst, kümmert sich je ein Lehrer um seine jungen Leute, geht ihnen notfalls bis in die Häuser nach und sorgt auch für begleitende Praktikums-Plätze und die spätere Übernahme in den Beruf.

Immer wieder wurden die Norder vom idealistischen Einsatz ihrer Gesprächspartner überrascht. In Gulu lernten sie diverse Projekte der Frauenarbeit kennen (Schneiderei, Papierperlen-Herstellung), mit denen die Frauen der kirchlichen „Mother´s Union“ den Lebensunterhalt für sich selbst und ihre Familien erwirtschaften. In der Diözese Kitgum stellte sich heraus, dass der gesamte Leitungsstab der Diözese seit einem Jahr keinerlei Gehalt mehr bekommt – die Referenten für kirchliche Koordination, Mission, Gesundheitsprogramme, Jugendarbeit usw. arbeiten aus purem Idealismus weiter!

Das erschien umso wichtiger, als diese Diözese seit längerem durch massive interne Probleme gebeutelt wird: Um den von der Synode längst abgesetzten Bischof, der gegen eine Zweidrittel-Mehrheit den Rücktritt verweigerte und sich nicht einmal vom Erzbischof aus dem Amt drängen ließ, ereignete sich ein regelrechter Kirchenkampf. In den Tagen des Norder Besuchs kam es nun endlich zum definitiven Showdown: Die Gesamtsynode aller anglikanischen Bischöfe des Landes enthob den renitenten Kirchenfürsten aller Ämter. Umso wichtiger, dass der Kirchenkreis Norden in dieser schwierigen Situation den Kontakt zum Leitungsstab der Diözese aufrecht erhielt und jetzt die wichtigsten Verantwortungsträger auch persönlich kennenlernen konnte! Mehr als einmal lobten die ugandischen Gesprächspartner die mentale Unterstützung aus Norden. Bei einem Abendessen lernte die Delegation auch den designierten Vakanzvertreter kennen: Altbischof Benoni Ogwal (ehemals Gulu) zeigte sich als bedächtiger, natürliche Autorität ausstrahlender Mann, dem eine rasche Befriedung der jahrelangen Zerrissenheit zuzutrauen ist.

Persönliche Begegnung mit Freunden und Kriegsopfern

Überhaupt war dieser Besuch von zahlreichen Begegnungen geprägt, deren persönlicher Charakter über die bisherigen Treffen hinausging. In Gulu, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurden die Norder an vier aufeinanderfolgenden Abenden in die Familien wichtiger Kirchenvertreter eingeladen. Darunter die Eltern des Studenten Walter Nyero, der im letzten Jahr Norden besucht hatte und jetzt in Indien studiert... Manche Begegnung geriet zu einer bewegenden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit: In Kitgum erzählte ein junger Mann dem Norder Superintendenten von seinem Schicksal als Kindersoldat. Im Alter von 9 Jahren musste Geoffrey mit ansehen, wie sein Vater von den marodierenden Truppen der LRA („Lord´s Resistance Army“) erschossen wurde. Er selbst sei mitgenommen worden und musste als Soldat kämpfen. Als er fliehen wollte, stoppte ihn ein Schuss ins Bein. Die Flucht gelang ihm schließlich doch, als er sich auf der Suche nach Nahrung von der Truppe absetzte und die anderen ohne ihn weiterzogen. Er hatte Glück und wurde von den zurückkehrenden Dorfbewohnern nicht gelyncht, sondern an die Regierungstruppen ausgeliefert, die ihn schließlich in sein Dorf zurückbrachten. Dort musste der jetzt 14-jährige feststellen, dass seine Mutter inzwischen gestorben war und von der näheren Familie niemand mehr übrigblieb. Seine Schulausbildung konnte er nicht zu Ende führen, Traumatisierung und fehlendes Geld führten zum Abbruch. Aber Geoffrey engagiert sich in der kirchlichen Jugendarbeit und hat hier seinen persönlichen Halt gefunden. Ob die Norder dem jungen Mann weiterhelfen können?

Ein besonderer Schwerpunkt lag auch sonst auf der Jugendbegegnung. Lars Ulferts (17, Osteel) und Sina Aswegen (20, Arle) erwiesen sich als ausgezeichnete Botschafter evangelischer Jugendarbeit. Sie gingen auf Kinder und Jugendliche zu, führten zahlreiche Gespräche mit Gruppenleitern und Jugend-Koordinatoren und sondierten die Möglichkeiten für den Aufbau einer besonderen Jugend-Partnerschaft. In Kitgum nahmen sie an einem regionalen Jugendtreff mit über 300 Kindern und Jugendlichen teil. In St.Philipps/Gulu erlebten sie erstmals die jugendlichen Blechbläser – seit einem halben Jahr lernen sie auf Instrumenten, die der ugandischen Delegation in Norden geschenkt worden waren. Das „fetzte“ schon mächtig! Lars und Sina nahmen den Schwung auf, Facebook- und Email-Adressen wurden ausgetauscht, viele neue Freundschaften angebahnt. Damit eröffnen die beiden Jugendlichen neue Perspektiven, über deren Umsetzung der Freundeskreis nun ausführlich beraten wird.

Projekte in Landwirtschaft und Industrie

Dass in Uganda nicht nur Traumatisierungen nachwirken und Armut herrscht, sondern auch unterschiedlichste Ressourcen eine bessere Zukunft versprechen, zeigte sich auch an anderer Stelle: Die Norder Delegation informierte sich auf einer erst kürzlich von der Kirche eingerichteten Musterfarm über die Haltung schwarzbunter Milchkühe, die eine deutliche Verbesserung der Ernährungssituation verheißt. Eine ähnliche Farm könnte durch Norder Initiative auch in Gulu installiert werden, so die gemeinsame Hoffnung. Ebenso wegweisend könnte eine mit deutscher Hilfe erbaute Mühle für Shea-Nüsse sein, die die Herstellung und Vermarktung der begehrten Shea-Nuss-Creme ermöglicht – ebenfalls ein Vorzeige-Projekt, von Anfang an interessant auch für die Kosmetik-Industrie auf dem deutschen Markt. Ein drittes Projekt könnte sogar den gesamten Energie-Sektor revolutionieren: Die von einem internationalen Team rund um Peter Nyeko – Reiseleiter, Ingenieur, Inhaber einer ugandischen High-Tech-Firma – entwickelte „Biomass-Gasification“ ist mittlerweile über das Versuchsstadium hinaus. Der gute Freund des Norder Kirchenkreises konnte der Delegation im nord-ugandischen Olwiyo bereits seine vierte, voll funktionstüchtige Anlage präsentieren, die durch ein bestimmtes Verbrennungssystem aus pflanzlichen Rückständen (vor allem Mais) Energie gewinnt und den zurückbleibenden Rest noch einmal in „Briketts“ presst, so dass eine vollständige Verwertung agrarischer „Abfälle“ das Energieproblem auf dem Lande lösen könnte. Peter Nyeko hält auch die Patente für die Elfenbeinküste und Nigeria und wird im Februar Gespräche mit Siemens über eine Serienproduktion aufnehmen.

Chancen für den Tourismus

Derartige Projekte führten dazu, dass die Norder den Eindruck einer aufstrebenden Gesellschaft und einer gesellschaftlich höchst bedeutsamen Kirche gewannen. Auch die „unglaubliche“ Freundlichkeit der Menschen und die faszinierende Landschaft mit ihrer großartigen Tier- und Pflanzenwelt trugen zum positiven Gesamteindruck bei. Was geschehen kann, wenn der Frieden im Land stabilisiert und entwickelt wird, ließ die weitere Reise in den Westen Ugandas erahnen: Hier herrscht bereits seit Mitte der 80er Jahre Frieden. Vielfältige Landwirtschaft und eine bescheidene Industrie konnten sich entwickeln, vor allem die Perspektiven für den Tourismus sind gewaltig: Bei einer Fahrt auf dem Weißen Nil (Murchison Falls National Park) und einem Schimpansen-Trecking (Queen Elizabeth National Park) erlebte die Norder Delegation die begeisternde Schönheit Ostafrikas.

Selbstbewusster Kampf gegen HIV/AIDS

Emotionaler Höhepunkt dürfte dennoch etwas anderes gewesen sein: In Kilak Corner, einem verschlafenen Nest im äußersten Norden, trafen die Norder eine HIV/AIDS-Initiative. Die Frauen spielten ihr Schicksal, einschließlich dauer-alkoholisiertem Ehemann und verzweifeltem Kampf um´s Leben. Dass die kirchliche Initiative diesen Betroffenen eine Stimme verleiht, dass die Frauen selbstbewusst und mutig für ihre Rechte eintreten und endlich das gesellschaftliche Schattendasein verlassen, wurde von Superintendent Dr. Kirschstein in einer kurzen Predigt gewürdigt und bestärkt: „Im Sinne Jesu begegnen wir Gott, wenn wir bedürftigen Menschen in die Augen sehen. Heute sind wir dem lebendigen Gott begegnet!“ Zur Unterstützung der Initiative übergaben die Norder einen Geldbetrag, der für dringend benötigte Medizin, aber auch zur Ausstattung mit einer gemeinsamen Kleidung dienen soll, damit die Frauen bei ihrer Tour durch weitere Gemeinden als Theatergruppe erkennbar sind.

Konkrete Hilfe vor Ort

Weitere Unterstützung ging an die Frauenarbeit in Gulu (Schmuckherstellung aus Papierperlen) und zur Aufforstung des großen Versammlungsplatzes vor der Kirche in Paloga („100 Bäume für Paloga“). Ein besonderes Geschenk machten die Norder schließlich einer Frau in Kitgum: Deren dramatisches Schicksal hatten sie bereits vor zwei Jahren erfahren, als Miss Aling auf allen Vieren durch den Kirchraum robbte, gelähmt und ohne Hilfe. Der damalige Entschluss zur Unterstützung konnte jetzt endlich umgesetzt werden: In einem Spezialgeschäft in Kampala kauften die Norder einen Rollstuhl, den sie in ihrem Reisebus bis in den hohen Norden transportierten und der überglücklichen Frau übergaben.

Audienzen: Deutsche Botschaft, ugandischer Erzbischof

Schon zu Beginn des Besuchsprogramms hatte der Kontakt zur Deutschen Botschaft neue Chancen eröffnet: Es ging vor allem darum, künftige Irritationen bei der Erteilung von Visa zu vermeiden. Bisher zeigte sich die Behörde nämlich erstaunlich restriktiv, wenn es um die Ausreise jüngerer Ugander zu Partnerschaftstreffen in Deutschland ging. Die Botschaftsangehörigen gaben sich nun aber freundlich kooperativ, erläuterten ihr Interesse am Engagement deutscher Nichtregierungs-Organisationen und luden sogar zu einem Hilfsfonds ein, mit dem die Botschaft soziale Projekte in Uganda unterstützt. Die Norder überreichten dem „Chargé d´áffaires“ einen Bildband der Küstenstadt und können in Zukunft den direkten Kontakt nutzen – jetzt kennt man sich persönlich!

Das gilt nun auch für den neuen Erzbischof der Church of Uganda, Stanley Ntagali. Eine Stunde Zeit nahm sich das Kirchenoberhaupt, um die Partnerschaft des Kirchenkreises Norden mit Gulu und Kitgum zu würdigen. Hoch erfreut zeigte er sich über die Initiative zu einem eventuellen Jugendaustausch. Freimütig erläuterte der Erzbischof die schwierige Situation in Kitgum und deutete die Renitenz des amtsenthobenen Bischofs als Folge traumatischer Kriegserlebnisse. Besonderes Interesse zeigte er an einem Dokumentarfilm gegen „Child Sacrifice“, der von Peter Nyeko und einer englischen Filmproduzentin mehrfach während des Besuchsprogramms im Norden gezeigt wurde – willkommene Aufklärungsarbeit gegen den religiösen Wahn der verbreiteten Kindsopferung durch „Witchdoctors“ (Hexer). Für den Film wie für die Partnerschafte sagte Erzbischof Stanley seine Unterstützung zu.

Gottesdienste und Projekte, Gebete und Begegnungen, Einblicke und Perspektiven:

Selten trat eine Kirchenkreisdelegation so harmonisch auf, selten zeigte sich jeder einzelne Mitreisende so engagiert. Das gilt nicht zuletzt von Dr. Volker Waffenschmidt, der als Afrika-Referent der GOSSNER MISSION (Berlin) zum wiederholten Mal seine weitreichende Kompetenz einbringen konnte – und sich nach eigenem Bekunden längst als „Norder“ fühlt. Am Ende stand die dankbare Erkenntnis, dass alle Delegationsmitglieder sich als gute Botschafter des Kirchenkreises Norden erwiesen.

Fazit einer rundum gelungenen Partnerschaftsreise: Intensiv, anstrengend, beglückend. Und mit einem weiten Horizont für die Entwicklung der Kirche in Uganda wie in Deutschland.