Zurück zur Quelle: Wege zur evangelischen Mystik

Norderney, 24. Juni 2015

Norderneyer Tageskonvent: Prof. Dr. Bobert inspiriert Theologen im Kirchenkreis

Die schlechte Nachricht, die Prof. Dr. Sabine Bobert im Gepäck hat, ist wohl, dass man seine Gedanken nicht anhalten kann. Die gute Nachricht: „Man kann ihnen einen Fokus geben.“ Nun ist es nicht so, dass die Professorin mit dem Denken Probleme hat. Eher der gegenteilige Eindruck entsteht, wenn man der Theologin, die ihre Schwerpunkte in den Bereichen Seelsorge, Gottesdienstformen, Spiritualität und Mystik hat, eine Weile zuhört. Eine spannende Mischung.

Das schienen auch die knapp 30 Pastoren und Diakone aus dem Kirchenkreis Norden zu finden, die sich am Mittwoch zum allzweijährlichen Tageskonvent auf Norderney eingefunden hatten. Ihr Thema: „Spiritualität heute: Coaching, Heilung, Mystik“. Als Referentin hatten sie die Berliner Gedanken-Fachfrau eingeladen. Und die konnte nicht nur etwas über das Denken allgemein sagen, sondern auch, was sie selbst denkt und wie es dazu gekommen ist. Für die anwesenden Theologie-Kollegen bedeutete das allerdings auch, die eigenen Gedanken gegenüber „ihrer“ Kirche in einen Ballon zu setzen und die Leine zum vertrauten Boden zu kappen.

Äußerst illustrativ, nicht weniger amüsant und gleichzeitig so trocken, als wäre eine Habilschrift zu fertigen wie mal eben den Müll rauszubringen, erzählt Bobert aus ihrem Leben. Sie selbst habe sich bereits früh für Religion interessiert, obwohl ihre Mutter nie etwas davon habe wissen    wollen, und auch in der früheren DDR einfach nicht aufgehört, lernen zu wollen, sich durchzufragen und ihre eigene Position im Glauben an Gott zu finden. Doch so richtig gelingen wollte es – trotz zahlreicher Erfolge und Anerkennungen in ihrer beruflichen Laufbahn – nicht. Zumindest nicht in der Tiefe.

Ein schwerer Reitunfall habe ihrem Leben schließlich eine neue Richtung gegeben. Obwohl sie „weder ein grelles Licht noch einen Tunnel“ gesehen habe, bemerkte sie in der Folge eine starke Veränderung, eine plötzliche    Zufriedenheit, ein Glücksgefühl. Wie konnte das bei all den Schmerzen und Einschränkungen nach dem fast tödlichen Unfall sein? Mit einem gewachsenen Interesse für Spiritualität reiste sie nach Asien, um sich dem Taoismus und der Meditation zu widmen. „Ihr müsst nur jeden Tag mindestens zwei Stunden üben, um Erfolg zu haben“, hätten die Lehrer ihr geraten und Bobert habe gedacht: „Na, wenn’s weiter nichts ist“ und übte täglich vier Stunden. Aus anfänglicher Skepsis und dem Belächeln des    stundenlangen Herumsitzens und In-sich-Hineinhörens sei dann    allerdings tatsächlich irgendwann etwas Bemerkenswertes entstanden. Sich selbst spüren, die Mitmenschen spüren, sich selbst kontrollieren, Energie fließen lassen oder schlechte Gefühle bremsen – all das habe sich nach und nach als wirklich erlebbar herauskristallisiert. „Was wie Humbug klingt, ist teils technisch schon gut erforscht“, wisse sie heute. Das    Gehirn könne Frequenzen empfangen und erzeugen. Menschen seien    nicht nur Körper, sondern Kraftfelder. „Wer das lernt, hat viele Vorteile.“ Und mit diesem Wissen könne man auch die Bibel ganz neu verstehen.

Schließlich habe Bobert auch verstanden, warum die Spiritualität so einen Boom erlebe, warum immer mehr Gutverdiener in Anzügen solche Seminare besuchen und nicht mehr in die Kirche gehen wollten („Die evangelische Kirche gilt als nicht kompetent. Die katholische Kirche hat    zwar etwas, aber kann’s nicht vermitteln.“). Bobert habe sich gefragt, wie man beide Welten zusammenbringen könnte. Und ihr sei klar geworden: „Theologie muss Spiritualität reflektieren.“ Doch was genau sollte das nun bedeuten?

Zum einen glaubte sie, dass, nur weil man etwas nicht sehen oder fühlen kann, es trotzdem da sein könnte („Warum soll ich Jesus erst nach dem Tod sehen? Im Leben könnte ich ihn besser gebrauchen!“). Zum anderen wisse sie – aus eigener Erfahrung – dass die Leute heute gebildet sind und sich gegenseitig bilden. Und deshalb auch Kirche hinterfragen, mehr Informationen haben wollen. Das Christentum im Westen sei „ein evangelischer Vampirismus“, so Bobert.„Die Leute sollen Liebe geben, aber man führt sie nicht zur Quelle zurück.“ Dabei sei genau das der Schlüssel, wie die Theologin in Asien gelernt habe.

Wir Evangelischen machen nur das,was wir verstanden haben, und das ist auch gut so.“ Aber man könne höhere Schichten über dem Alltagsempfinden erschließen. „Nur denken macht leider nicht glücklich“, so Bobert. Aber was soll man tun, wenn einem „die Seele auf den Kopf    fällt“?

Wem für stundenlanges Meditieren, sogenannte „Dark Room Retreats“ oder Wüstenreisen Zeit und Geld fehlten, könne auch mit kleinen Übungen im Alltag zwischendurch immer mal wieder „zu sich selbst“ finden. „Denken ist keine Willensentscheidung“, betonte die Professorin. „Wir alle wissen, was passiert, wenn ich sage: Jetzt denkt mal nicht an drei rosa Bären.“ Man könne seine Gedanken aber fokussieren beziehungsweise den Fokus verändern. Zum Beispiel von etwas Negativem zu etwas Gutem, von einer Stress- zu einer Ruhesituation, das ewige Umherhetzen einstellen, sich setzen, die Hände auf den Bauch legen und sich drei Minuten mal nur auf    die eigene Atmung konzentrieren. Das sei noch keine Mystik, helfe aber, aus destruktiven Gedankengängen auszusteigen. „Du hast zwar Gedanken, aber du bist nicht deine Gedanken!“, gibt Bobert ihren Zuhörern gern mit auf den Weg. Diese Ebenen müsse man trennen und man könne sie beeinflussen. „Das ist so etwas wie eine Bedienungsanleitung für den Geist“, beschreibt Bobert. Und das könne man lernen.

Zurück zu den immer leerer werdenden Bänken während des Gottesdienstes und zu der Kritik, die die Professorin an ihrer eigenen „Branche“ geübt hat. Schließlich sei sie immer noch – oder jetzt erst recht – überzeugt davon, dass beides wichtig ist. „Die Leute interessieren sich für Kirche, sie sind noch nicht weg“, so Bobert. Die Bibel sei sogar wieder cool. „Aber sie wollen neue Ansätze.“ Und dabei könnte das Mentale, die Spiritualität, die Mystik, die Quelle eine große Rolle spielen.

Weitere Informationen gibt es auf der Homepage von Prof. Dr. Sabine Bobert: www.mystik-und-coaching.de.