Auf dem Weg zu ökumenischer Zusammenarbeit

Marienhafe, 10. März 2015

"Historische" Begegnung: Evangelische und Neuapostolische loten Theologie aus

Hier ist das Wort "historisch" wohl angebracht: Erstmals in Ostfriesland trafen sich hochrangige Vertreter der Neuapostolischen Kirche (NAK) zum theologischen Gespräch mit evangelischen Lutheranern, vertreten durch Superintendent Dr. Helmut Kirschstein und Konvents-Mitglieder des Kirchenkreises Norden. In der Neuapostolischen Kirche Marienhafe nahmen außerdem weitere Vertreter der Ökumene teil, darunter Pfarrer Matthias Schneider für die röm.-kath. Kirche, sowie die Pastoren der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) und der Freien Evangelischen Gemeinde.

Vorbereitet wurde das außergewöhnliche Treffen durch Pastor i.R. Dieter Albertsmeier, Beauftragter für Konfessionsökumene im Kirchenkreis Norden, in Verbindung mit dem neuapostolischen Bischof Thorsten Beutz (Hamburg), der auch als Moderator durch die Veranstaltung führte. Besonders wichtig war die Teilnahme der beiden Apostel Dirk Schulz, u.a. zuständig für den NAK-Kirchenbezirk Emden, und Jörg Steinbrenner, Beauftragter in Fragen der Ökumene in Norddeutschland. Beide waren extra aus Hamburg angereist. Aber auch zahlreiche neuapostolische Bezirksleiter und Gemeindevorsteher waren anwesend, etwa aus Leer, Rhauderfehn, Emden und Norden.

Nachdem Apostel Dirk Schulz das Treffen mit einem Gebet eröffnet hatte, schilderte Pastor Albertsmeier in seiner launigen Art die teils spontanen Begegnungen mit diversen Vertretern der NAK, in denen die gegenseitige Sympathie und Wertschätzung gewachsen sei. Weitere Impulse habe das Treffen aus Anlass der Visitation in Leezdorf gegeben, bei dem es zu einem guten Miteinander zwischen Bischof Beutz, Pastor Riesebeck und Superintendent Dr. Kirschstein gekommen war.

Nach einer Vorstellungsrunde aller Anwesenden, die den ökumenischen Charakter des Abends unterstrich, hielt Apostel Jörg Steinbrenner das erste der beiden Grundsatzreferate. Per Powerpoint-Präsentation stellte er die Grundzüge der Neuapostolischen Kirche seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert dar, unterstrich elementare Lehrinhalte, hob kirchliche Gemeinsamkeiten ebenso hervor wie spezifische Charakteristika der neuapostolischen Lehre, etwa die durch Apostel geprägte Ämterhierarchie, das Sakrament der Versiegelung und die Übung der Entschlafenen-Taufe. Insbesondere erläuterte Steinbrenner die jüngste Entwicklung zu einer ökumenischen Öffnung, die zur Überwindung der jahrzehntelangen Selbstisolation führen solle. Entscheidend dafür dürfte die Lehr-Korrektur in der eigenen Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) sein: Wenn die NAK auch nach wie vor für sich reklamiert, der Wahrheit Gottes besonders nahe zu sein, geht sie doch davon aus, dass auch in anderen Kirchen und Konfessionen göttliche Wahrheit erkannt wird. Durch diese Öffnung - die in der evangelischen Kirche seit der Reformation ganz ähnlich vertreten wird - ist eine ökumenische Wertschätzung und Zusammenarbeit nun überhaupt erst möglich. Dafür spräche aber auch - so der Apostel - die Notwendigkeit, in einer Zeit immer bedrohlicherer Säkularisierung das gemeinsame christliche Zeugnis zu stärken und nach außen hin deutlich als Vertreter des gemeinsamen christlichen Glaubens erkennbar zu sein. Deshalb strebe man die Gast-Mitgliedschaft auf allen Ebenen der "Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen" (ACK) an. Während die NAK "rite vollzogene" Taufen auf den dreieinigen Gott anerkennt, sind für sie derzeit noch keine gemeinsamen Abendmahlsfeiern möglich. Auch auf die gemeinsame Feier ökumenischer Gottesdienste müsse man noch warten, bis es hier zu weiteren Klärungen gekommen sei, so der Apostel.

"Gott ist gegenwärtig" - mit diesem Choral von Gerhard Tersteegen, der sich auch im Evangelischen Gesangbuch findet, sangen sich alle Anwesenden ihre gemeinsame Hoffnung von der Seele. Daraufhin hielt Superintendent Dr. Helmut Kirschstein den zweiten Hauptvortrag zum Selbstverständnis der Evangelischen Kirche, insbesondere im ökumenischen Gegenüber zur NAK. Kirschstein unterstrich, dass die Liebe zur Kirche als "Gemeinschaft der Heiligen" wie auch die Liebe zu Jesus Christus, dessen Namen die Christen aller Konfessionen tragen, allen besonderen "Vor-lieben" vorausginge. Auf dieser Basis warb der Superintendent für ein wohlwollendes Verständnis der "Schönheiten" des evangelischen Glaubens. Als evangelische Kerngedanken stellte er die fünf "Particula Exclusiva" heraus und betonte die Aktualität der Grundsätze "allein die Heilige Schrift" - "allein durch Gnade" - "allein der Glaube" - "allein Jesus Christus" und "Gott allein die Ehre". Diese Kerngedanken hätten sich insbesondere während der Nazi-Zeit in der Bekennende Kirche bewährt, deren "Barmer Theologische Erklärung" (1934) Kirschstein als bedeutendstes Bekenntnis seit der Reformationszeit zitierte. Als "Konsequenzen evangelischen Glaubens und Wirkens" entwickelte der Referent die Bedeutung des freien Gewissens ("evangelische Kirche ist Kirche der Freiheit"), die Verantwortung für den Nächsten und die Gesellschaft, das "Priestertum aller Gläubigen" mit seiner "klaren Tendenz zur Demokratie in Kirche und Gesellschaft", das Ziel umfassender Bildung für alle ("gegen geistliche Bevormundung und spirituellen Aberglauben") und das geistliche Amt für Männer und Frauen, das längst "unverhandelbar" sei, weil es sich der befreienden Botschaft des Evangeliums verdanke.

Dass etliche dieser evangelischen Grundsätze und Konsequenzen den neuapostolischen Lehren entgegenstehen, dürfte allen Anwesenden unmittelbar deutlich geworden sein. Gleichwohl blieb es auch in der kurzen Diskussion bei einem wertschätzenden und wohlwollenden Umgang miteinander, der auf ein wechselseitiges Verstehen gerichtet war.

Zum Schluss des offiziellen Teils überreichte Superintendent Dr. Kirschstein dem Marienhafer Gemeindeleiter der NAK, Evangelist Albert Ulrichs, eine "Fliesenbibel", und bedankte sich für die spürbare Gastfreundschaft. Auch die weiteren neuapostolischen "Mitbrüder" bekamen ein Büchlein der Reihe Bibelfliesen-Bilder mit Meditations-Texten des Superintendenten. Dieser sprach schließlich Gebet, Vaterunser und Segen, bevor die Veranstaltung in einen gemeinsamen Steh-Imbiss überging. Hier entwickelte sich manches intensive Gespräch, das auf eine weitere Vertiefung der guten Beziehungen hoffen ließ.