"Wildweststimmung im Süden Sudans"

Norden, 06. Januar 2011

Starkes Interesse: Aktuelle Erlebnisberichte zum Partnerschafts-Land

Rund 40 Interessierte an der Partnerschaftsarbeit des Kirchenkreises trafen sich im Gemeindehaus Ludgeri, um "aus erster Hand" von aktuellen Entwicklungen im Sudan zu erfahren. Das außergewöhnliche "Drei-Königs-Treffen" fand unter der Leitung von Pastor Rolf Meyer-Engeler (Hage) statt, dem es gelungen war, sowohl langjährige Mitarbeiterinnen des Sudan-Arbeitskreises, als auch Familien mit Interesse am Schul-Austausch (Khartoum Diplomatic School - KDS) an einem Tisch zu versammeln.

Willkommener Anlass war der Weihnachtsurlaub von Fenna Campen. Die junge Norderin wirkt seit 3 Monaten als Lehrerin für Deutsch und Englisch an der KDS in der Hauptstadt des Sudan. Ihre Mutter hatte vor gut einem Vierteljahrhundert zu den allerersten Besucherinnen des nordafrikanischen Landes gezählt, die seinerzeit durch eine aktive Frauenarbeit die lebendige Partnerschaft zu christlichen Projekten im Sudan aufgebaut hatten. Tochter Fenna schilderte erste Eindrücke von einer "faszinierenden Stadt", in der sie die Menschen als "unglaublich freundlich" erlebe. Dies gelte nicht zuletzt für das Lehrer-Kollegium. Im Vorfeld des Referendums am 9. Januar - in wenigen Tagen wird über den Verbleib des Südsudan in der staatlichen Einheit entschieden - seien aber durchaus auch Ängste über mögliche Unruhen und ein Wieder-Aufflammen der Gewalt spürbar. "In den Kirchen wird in jedem Gottesdienst für einen friedlichen Ablauf der Wahlen gebetet." Gerne möchte Fenna Campen an "ihre" Schule nach Khartoum zurückkehren - wie etliche Kollegen auch, die ebenfalls über Weihnachten den Sudan verlassen haben, wartet sie aber die Entwicklung ab. "Der Rückflug ist noch nicht gebucht."

Pastor Meyer-Engeler ergänzte weitere Fakten zum Referendum: Vor 5 Jahren haben Nord- und Südsudan nach rund 50-jährigem Bürgerkrieg ein Friedensabkommen unterzeichnet, das eben dieses Referendum vorsieht. Abstimmen dürfen ausschließlich Bürgerinnen und Bürger des Südens: "Der Südsudan stimmt über sein Schicksal ab." "Wie Maria und Josef" (so eine Teilnehmerin) ziehen die im Norden wohnenden Südsudanesen in die alte Heimat ihrer Sippe, um dort gefahrlos ihre Stimme abzugeben. Brisant: 75% aller Ölfelder des eigentlich reichen Landes befinden sich im Süden...

Persönliche Eindrücke zur aktuellen Situation konnten zwei weitere Gäste beibringen: Der promovierte Norderneyer Jurist und Politikwissenschaftler Dr. Christian Kampfer und seine aus Marokko stammende Frau Bousha, IT-Project-Managerin, arbeiten seit 4 Monaten in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Als Mitarbeiter und Koordinator des DED (= Deutscher Entwicklungsdienst, ab 1.1.2011 aufgegangen in der GiZ = Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) arbeitet das Ehepaar daran, im Sinne einer demokratischen Entwicklung Verwaltungsstrukturen auf- und auszubauen. Ein besonderes Problem stellt die schwierige Kommunikation dar: Im Sudan werden 142 Sprachen gesprochen, und die Verbindungsstraßen - Dr. Kampfer präsentierte eindrucksvolle Fotos - lassen jede Fahrt über Land zum Abenteuer mit ungewissem Ausgang werden.

In Juba selbst geht es zur Zeit friedlich zu - auch zwischen den religiösen Gruppen. Gut 50% seien Christen, die andere Hälfte tder Bevölkerung teile sich in Muslime und ethnische Religionen. 18 UN-Organisationen und weit mehr internationale NGO´s (Nichtregierungsorganisationen, z.B. kirchliche Arbeitsgruppen) sind vor Ort - "je mehr solcher Organisationen, umso mehr Schutz für die Zivilbevölkerung", so der Entwicklungshelfer. Tatsächlich hat sich der muslimische Präsident des Gesamt-Sudan, Bashir, zuletzt offen für eine separate Entwicklung des Südens gezeigt; offenbar schwebt ihm eine enge Kooperation vor. Bashir spricht jedenfalls davon, das Ergebnis des 9.Januar so oder so zu respektieren und die Sicherheit in allen Landesteilen gewährleisten zu wollen.

Vermutlich wird ihm offiziell auch kaum etwas anderes übrig bleiben: Bei einer repräsentativen Umfrage in allen 10 Bundesstaaten des Südsudan erklärten glatte 97%, für die Unabhängigkeit stimmen zu wollen. Auch bei einer friedlichen Entwicklungen sind die Probleme groß genug: von mangelnder Infrastruktur über zu räumende Minenfelder bis hin zum Hauptproblem, der völlig unzureichenden Bildung.

"Im Süden Sudans herrscht eine Wildweststimmung" - mit allen Chancen und Risiken. Dennoch stand am Ende ein optimistischer Ausblick: Dr. Kampfer und seine Frau gehen davon aus, dass das Referendum und seine Konsequenzen friedlich verlaufen werden und beide Landesteile tatsächlich auf eine funktionierende Kooperation angewiesen sind, wie sie im Ansatz ja bereits in den vergangenen 5 Jahren funktioniert habe - aber persönlich sind beide durchaus auf Sicherheit bedacht: Für den Fall des Falles existiert ein Evakuierungsplan...

Optimistisch darf man allerdings auch für die Entwicklung der Partnerschaftsarbeit des Kirchenkreises mit dem Sudan und der Khartoum Diplomatic School sein: So viel Interesse, nicht zuletzt bei jungen Menschen, stimmt zuversichtlich.