„Ich glaube an die Barmherzigkeit“

Hage, 23. Mai 2016

Eine Muslima im KKT: Frau und Mann im Islam – zwischen Kultur und Religion

Spannend und höchst aktuell gestaltete sich für die 52 anwesenden Delegierten der Kirchenkreistag in Hage: Erstmals war im „Parlament“ des Kirchenkreises Norden eine deutsche Muslima zu Gast. Du´A Zeitun (Osnabrück) sprach im Dialog mit Prof. Dr. Wolfgang Reinbold (Hannover) zum Thema „Frau und Mann im Islam – und bei uns“.

Als sich die junge Frau – Dialogbeauftragte an der kath. Landvolkhochschule Oesede – selbst vorstellte, hatte sie die Lacher auf ihrer Seite: „Woher ich komme? Aus Aachen – aber ich habe mich hier im Norden gut integriert.“ Tatsächlich ist Zeitun gebürtige Deutsche. Ihre eigene Person scheint geeignet, mit einigen Voruteilen aufzuräumen: Als Tochter eines syrischen Imam, der vor 30 Jahren als Student nach Deutschland gekommen war, fühle sie sich als Deutsche. Ein paarmal habe sie Syrien besucht, aber dort sei sie fremd. Als Muslima, die Wert auf das Tragen des Kopftuchs legt und sich als „konservativ“ bezeichnet, reagiert sie umso heftiger auf gängige Klischees: Angeblich signalisiere das Kopftuch ja eine Frau „ohne Rechte“, die vermutlich zwangsverheiratet sei und von ihrem Mann womöglich gewaltsam unterdrückt würde – aber „zeigen die zahlreichen Frauenhäuser in Deutschland nicht auch, dass Frauen von Deutschstämmigen gleichermaßen Schaden zugefügt wird?“ Sie selbst habe sich als Mutter dreier Kinder um der Liebe Willen von ihrem ersten Mann scheiden lassen. Dabei vermag sie ihre Lebenseinstellung durch ihr eigenes Studium der Islamischen Theologie immer auch religiös zu begründen.

Fragen und Antworten drehten sich schnell um den Zusammenhang von Religion und Kultur: „Unterdrückung von Frauen“ sei keinesfalls islamisch begründet, sondern kulturell bedingt. Ihr eigener Vater habe niemals die Söhne gegenüber der Tochter bevorzugt, und überhaupt sei im Islam keine Schlechterstellung der Frau begründet: „Es handelt sich um ein kulturelles Bildungsproblem!“

Kritischen Nachfragen von Prof. Reinbold, der sich als Beauftragter der Hannoverschen Landeskirche für „Kirche und Islam“als ein intimer Kenner des Problemkreises erwies, wich Frau Zeitun nicht aus: Wenn in vielen Moscheen Katechismen auslägen, in denen dem Mann eine „höhere Stufe“ als der Frau zugebilligt werde, müsse man derartige Koranstellen historisch einordnen: „Heute würde keine Frau die 800 Jahre alte Auslegung akzeptieren.“ Dass in dieser Überzeugung womöglich mehr Wunsch als Realität steckt, deutete die Referentin aber selber an, als sie fortfuhr: „Junge Frauen sollten sich selbst mit ihrem Glauben auseinandersetzen: Was sind meine Rechte? Das passiert noch viel zu wenig.“

Du´A Zeitun wandte sich kritisch gegen den „Import“ ausländischer Imame nach Deutschland: In einer Kultur, die sie nicht verstehen könnten, würden solche Geistliche für die Situation junger Muslime keinerlei Empathie aufbringen. Ihre Hoffnung richte sich auf den Studiengang Islamische Theologie in Deutschland, durch den man nicht nur religiöse Fragen, sondern auch pädagogische Herausforderungen kulturell angemessen bewältigen könne.

Bald mischte sich das KKT-Plenum in die Diskussion. Die Ereignisse von „Köln“ führten zu kritischen Nachfragen. Zeitun ließ kein gutes Haar am Verhalten fehlgeleiteter („kranker“) junger Männer, ganz gleich, welcher Religion sie angehören. „Viele muslimische Männer, die Frauen macho-mäßig behandeln, haben keine Ahnung vom Islam!“ Dass es letztlich die kulturelle Prägung sei, die auch in christlichen Kreisen zu einer unwürdigen Behandlung von Frauen führen könne, ließe sich womöglich in Indien zeigen.

Die Referentin berichtete auch von eigenen Auseinandersetzungen mit aktuell zugezogenen syrischen Flüchtlingen, die sich in ihrer Moscheegemeinde bspw. gegen den interreligiösen Dialog gewendet hätten. Es bestehe eine große Herausforderung an die hiesigen Moscheegemeinden, sich nicht etwa selbst der fremden Kultur anzugleichen, sondern die neu Hinzukommenden zu integrieren. „Man muss als islamische Gemeinde standhaft bleiben!“

Selbst heikle Fragen wurden angesprochen, etwa „Sex vor der Ehe“ (islamisch nicht erlaubt), Abtreibung (bei Gefährdung des Lebens der Frau erlaubt), Scheidung (ist erlaubt). Innerislamisch werde über alles diskutiert. Erst, wenn eine Mehrheit sich für einen Rechtsspruch ausspricht, ändere sich Grundsätzliches. Extreme Einstellungen – da waren sich Zeitun und Reinbold einig – dürften nicht etwa als „konservativ“ oder „orthodox“ ausgegeben werden. Was etwa aus Saudi-Arabien herüberdringe, habe mit dem islamischen Mainstream nichts zu tun, sei vielmehr in schlimmster Weise „radikal“ und „extrem“.

Auch Du´A Zeitun sieht die Gefahr, dass es durch fehlende Integration zu einer „Gesellschaft innerhalb unsrer Gesellschaft“ kommen könne. Dem müsse man mit vereinten Kräften entgegenwirken. „Perspektivlose junge Männer“ müssten daran gehindert werden, sich in ein Ghetto zurückzuziehen. Prinzipielle Angst vor der weiteren Entwicklung sei aber nicht gerechtfertigt.

Das unterstrich in seinen Schlussgedanken auch Prof. Reinbold: „Am heutigen Tag des Grundgesetzes können wir selbstbewusst sagen, dass wir in Deutschland schon viele Herausforderungen gemeistert haben, nicht zuletzt, wenn es um die Integration neuer Bevölkerungsgruppen ging. Das werden wir auch im Blick auf die im letzten Jahr angekommenen Flüchtlinge schaffen.“ Sein Plädoyer richte sich darum auf eine „entspanntere Herangehensweise an die multireligiöse Realität“.

Wie hatte es Du´A Zeitun zuvor gesagt? „Ich glaube an die Barmherzigkeit.“