Integration funktioniert schon seit 50 Jahren

Norden, 03. Mai 2016

Auftakt zur Vortragsreihe "Der Islam und wir": Prof. Reinbold kritisiert AfD

Muslime sind nicht nur Muslime, so wie Christen nicht einfach nur Christen sind. Dass nicht allein die Religion einen Menschen bestimmt und definiert, war das Fazit des Vortrags von Prof. Dr. Wolfgang Reinbold „Christen und Muslime in Niedersachsen“, der den Auftakt zu der vom Norder Kirchenkreis organisierten Vortragsreihe „Der Islam und wir“ bildete. Die Vorträge sollen in erster Linie über den Islam informieren, da laut Initiator und Superintendent Dr. Helmut Kirschstein viel Unwissen und falsche Vorbehalte die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten beherrschen. Etwa 60 Interessierte hatten sich dafür am Dienstagabend im Forum der Kreisvolkshochschule (KVHS) Norden versammelt.

Der Begriff Islam werde als etwas Fremdes, das von außen kommt, wahrgenommen, sagte Reinbold, Beauftragter der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für Kirche und Islam. Es sei eine sehr abstrakte Vorstellung, die vielen dabei in den Kopf komme. Der Wendepunkt sei hier der 11. September 2001 gewesen. Seitdem würden Muslime oftmals nur über ihre Religion identifiziert werden. „Sie sind jedoch mehr als Muslime. So wie wir mehr als nur Christen sind. Wir sind alle auch Fußballfans, Briefmarkensammler, Motorradfahrer und vieles mehr“, betonte Reinbold.

Unter jungen Menschen erfahre er sehr viel Interesse an der Religion und ihrer sehr alten Geschichte. Den Impuls dazu würden die Zentren für islamische Theologie an den deutschen Hochschulen geben. „Dort herrscht große Aufbruchstimmung“, sagte er. In eine völlig falsche Richtung entwickele sich hingegen die politische Stimmung. Die AfD nutze die Unwissenheit vieler, um Stimmen zu sammeln. Die Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sei völlig abstrus. Diese Religion gebe es seit vielen Jahrzehnten in Deutschland. Sie ist durch die Religionsfreiheit geschützt. Zudem seien die Grundsätze vieler islamischer Glaubensrichtungen, wie zum Beispiel die der Ahmadiyya, mit zentralen Werten wie Toleranz, Respekt, Solidarität, Bildung und Wissenschaft, dem deutschen Grundgesetz ähnlich – „ganz im Gegensatz zum Parteiprogramm der AfD“.

Der Islam sei allerdings eine in sich recht unstimmige Religion mit vielen verschiedenen Auslegungen. Reinbold warnte davor, das Wort Islamismus mit dem Islam zu assoziieren. Er berichtete von einem Dschihadisten, der am Flughafen mit dem Buch „Islam für Dummies“ unterwegs war. „Da sieht man mal, wie wenig die Anhänger des Islamischen Staats über die Religion an sich wissen“, betonte er. „Das, was die Salafisten verbreiten, hat mit dem Islam nicht viel zu tun.“ Jeder Gelehrte, der bestimmt um die 40 Jahre und weit mehr als ein Buch für Islamforschung benötigen würde, könne das bestätigen.

Oft sei die muslimische Erziehung zwar immer noch nach starren Ge- und Verboten ausgerichtet. Genau wie das Christentum beinhalte der Islam aber für die Mehrheit der Gläubigen eine Gott-Mensch-Beziehung, keine radikale Bevormundung von Gott aus. Der Koran selbst warne davor, Gelehrtenmeinungen unhinterfragt zu folgen.

Wie viele Muslime es genau in Deutschland gebe, sei nicht eindeutig nachzuvollziehen. 2009 sei die Zahl der Muslime und Aleviten auf zirka vier Millionen Menschen geschätzt worden. Viele würden ihre Religion jedoch geheim oder privat halten. Viele muslimische Glaubensrichtungen in Syrien oder der Türkei würden nämlich verfolgt. Hier nannte Reinbold die Aleviten, von denen um die 500.000 bis 800.000 in Deutschland lebten. Sie seien Anhänger Alis, der für sie der Aufklärer und das „Licht der Vernunft“ sei. Aleviten würden nie ein Kopftuch tragen und die Wissenschaft für das höchste Gut halten. Auch die Grundsätze der Ahmadiyya seien den deutschen Werten gar nicht mal so unähnlich. Sie würden Gleichberechtigung und Freiheit einen hohen Wert beimessen und hätten sogar die erste islamische Frauenbewegung gestartet.

Der Islam ist extrem vielfältig. Es gibt viele verschiedene Gruppen und interne Probleme“, erklärte Reinbold. Oberflächlich wirke die Religion oft einheitlich und gradlinig, aber bei näherer Betrachtung sei das nicht der Fall. „Dennoch ist es eine friedliche Religion. Die große Mehrheit der Muslime lebt in diesem Land rechtskonform“, betonte Reinbold. Alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen, sei schlichtweg falsch. „Auch Christen tun furchtbare Dinge, ohne, dass ihre Tat gleich mit ihrer Glaubensrichtung begründet wird“, sagte er und erinnerte dabei an den norwegischen Massenmörder Breivik, der sich ausdrücklich auf sein „Christentum“ berief. . „Es ist wichtig, dass wir Debatten führen und Probleme ansprechen. Aber die Frage, ob der Islam in Deutschland integrierbar ist, stellt sich mir einfach nicht. Wenn, dann wäre die Antwort ,natürlich’, das funktioniert schließlich schon seit über 50 Jahren.“

Seiner Meinung schienen auch die meisten Zuhörer zu sein. Dennoch stellten sie viele Fragen:„Darf in Gruppen wie Ahmadiyya, die sehr gradlinig erscheinen, auch gezweifelt werden?“ Laut Reinbold gebe es zwar in vielen muslimischen Gruppen nicht die kritische Herangehensweise, die die meisten christlichen Gemeinden pflegten. Es gebe aber Diskussionen, bei denen man sich in den Antworten oft strikt an das „Lehrbuch“ halte. Trotzdem seien bei vielen Glaubensrichtungen Zweifel nicht unüblich. Auch die Predigten, wie Reinbold auf eine Frage hin erklärte, seien anders als bei den Christen – kürzer und weniger frei interpretiert.

Das Interesse der Zuhörer schien insgesamt groß. „Ich wünsche mir jedoch, dass wir noch mehr mit dem Islam in den Dialog treten“, betonte ein Gast.„Es müsste mehr Veranstaltungen wie diese geben, bei denen man sich über die Religion informieren und austauschen kann. Wir können alle noch viel mehr tun.“

Weitere Vorträge

  • Der zweite Vortragsabend findet am 17. Mai im Norder Bürgerhaus, Am Markt 55, um 19.30 Uhr statt. Hier widmet sich die junge Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage (Göttingen) der Frage „Aus welchen Gründen werden Jugendliche zu Dschihadisten?“
     
  • Den dritten Vortragsabend gestaltet Du’a Zeitun (Osnabrück) am 31. Mai, ebenfalls um 19.30 im Bürgerhaus: „Mein ganz normales muslimisches Leben in Niedersachsen.Und was ich mir für die Zukunft wünsche.“

Wir bedanken uns für TEXT und FOTO beim OSTFRIESISCHEN KURIER!