Aggressiver Atheismus - was ist dagegen zu sagen?

Norden, 11. März 2009

Für Aufsehen sorgte Richard Dawkins mit seinem vielzitierten Buch "Der Gotteswahn", in dem er mit antireligiöser Propaganda Menschen zum Atheismus (Gottlosigkeit) geradezu bekehren will. Zu den zahlreichen Reaktionen auf  Dawkins gehört jetzt auch die gemeinsame Kirchenkreiskonferenz der Kirchenkreise Norden und Emden: Sup. Dr. Kirschstein hatte die Systematikerin Prof. Link-Wieczorek eingeladen, um über das Thema "Aggressiver Atheismus - und die Folgen" zu referieren.

Rund 35 Theologen feierten zunächst eine Andacht im Hochchor der Ludgerikirche, die Pastor Martin Specht (Norden-Ludgeri) zum Kirchentagsmotto und -song der "Wise Guys" gestaltete: "Mensch wo bist du?" Nach dem gemeinsamen Frühstück widmete man sich im Gemeindehaus Norddeicher Str. zweieinhalb Stunden lang Fragen nach einer tragfähigen Antwort auf die von Dawkins aufgeworfene Kritik.

Link-Wieczorek stellte den "Gotteswahn" in den Rahmen der Globalisierung: Es sei eine Versuchung, bei globalisierten Betrachtungen die Welt als undifferenzierte Einheit wahrzunehmen. Dieser Versuchung sei auch der radikale Atheismus erlegen, wenn er Fanatismus, Fundamentalismus und hemmungslose Gewaltbereitschaft als konstituiv für jedwede "Religion" erachte - das derart karikierte Phänomen könne dann nur noch als Wahnvorstellung diffamiert werden: "Wenn das Religion ist, kann man nur Atheist werden!"

Ein derartiger atheistischer Fundamentalismus ist nach Einschätzung von Link-Wieczorek nicht mehr kommunikationsbereit. Er falle demselben holzschnittartigen Denken zum Opfer, das bestimmten religiösen Fundamentalismen zugrunde liegt. Dawkins aggressiver Atheismus sei so etwas wie "Kreationismus rückwärts". Wichtig sei es aber, für das Gespräch mit selbstkritischen "Gebildeten unter den Verächtern der Religion" Konsequenzen aus den Anfragen des Atheismus zu ziehen und sich argumentativ auf Menschen am Rande der Kirche einzustellen. Es gelte, die theologischen Herausforderungen ernstzunehmen.

Tatsächlich treffe die atheistische Kritik bestimmte christlich-fundamentalistische Vorstellungen - Gott aber sei "anders, als im Fundamentalismus vorgestellt".

Um diese These zu untermauern, entwickelte Link-Wiczorek drei Problemkreise: (1) "Gott als bestimmende Wirklichkeit" sei anders zu denken, als noch Martin Luther in seiner Schrift "De servo arbitrio" dargelegt habe. Gerade aufgrund biblischer Aussagen dürfe man der Schöpfung die aktive Rolle im Gegenüber zu Gott nicht streitig machen. Etwa im Sinne der sog. Prozesstheologie (in Deutschland u.a. von M Welker fortentwickelt) sei die "Allmacht" Gottes nicht als kausal-mechanistisches Wirken (dagegen wendet sich Dawkins), sondern als unbegrenzt mögliche Inspiration zur Erweiterung der Lebensmöglichkeiten zu verstehen.

(2) "Die zwischenmenschliche Dimension" müsse darauf achten, dass weder die Gottesliebe die Liebe zum Nächsten "enteignet", noch die Nächstenliebe als einzige Form der Zuwendung zu Gott gedeutet wird: Die Anbetung Gottes dürfe nicht in sozialen Bezügen aufgehen. Wichtig sei es, ein fürbittendes, stellvertretendes Mittragen menschlichen Leidens aus der Stellvertretung Gottes (vgl. Römer 8) zu entwickeln: Christus vertritt uns beim Vater, und wir sprechen zu ihm durch den Heiligen Geist. Wird die "Intercessio Gottes" als göttliche Eigenschaft wahrgenommen, finden wir unsere Mitmenschen immer schon im Gebet vor - dies führe zur notwendigen "Entindividualisierung durch Subjekterweiterung".

(3) Einen besonderen Schwerpunkt legte Link-Wieczorek auf "Gottes Gerechtigkeit: Das Jüngste Gericht".  Sie plädierte mit überzeugenden Argumenten für eine Wiedergewinnung der urchristlichen Vorstellung vom "Fegefeuer" (vgl. 1. Korinther 3, 13-15): Es geht um eine "kreative Gerechtigkeit" Gottes, die auch noch im Jenseits die Vernichtung des Bösen freisetzt. Nicht die Person des immer noch sündigen Menschen, wohl aber die Sünde werde dadurch ausgeschaltet. Es geht nicht darum, einem abstrakten Anspruch Gottes zu genügen, sondern die Sünde und ihre Macht "abzutragen". Denn Menschen scheitern doch viel weniger an ihrer Bosheit, viel mehr an ihrer Schwachheit. Das Jüngste Gericht zielt demnach nicht darauf, dem Richter zu gefallen, sondern "die Zerbrochenheit des Lebens zu heilen"! Dies sei vielleicht die "wichtigste theologische Weichenstellung", die wir heute vornehmen sollten, so die Referentin.

Die sich anschließende lebhafte Diskussion kreiste um Fragen der Gottesvorstellung, der angemessenen Versprachlichung und der "Allversöhnung".

Die gemeinsame Konferenz endete nach einem schmackhaften Mittagessen mit der Behandlung der in beiden Kirchenkreisen anfallenden "Ephoralia". Am Ende stand die Hoffnung, dass die Kirchenkreiskonferenzen Norden und Emden sich auch im ersten Quartal 2010 wieder zu einer gemeinsamen Sitzung zusammenfinden mögen - dann wieder in Emden.