Nach 8 Jahren am Ziel: Gnadenkirche Tidofeld feierlich als Dokumentationsstätte eröffnet

Norden-Tidofeld, 02. November 2013

Gäste aus Kirche, Politik und Wirtschaft - Festpredigt von Landesbischof Meister und Festrede von Prof. Wernstedt beeindrucken über 300 Menschen

Acht Jahre lang hat die Planung des Projekts „Einrichtung einer Dokumentationsstätte in der Gnadenkirche Tidofeld“ gedauert. 15 verschiedene Sponsoren hat das Projekt: „Die Vielzahl der Unterstützer sagt etwas aus über die Breite der Unterstützung, die wir erfahren haben“, sagte der Vorsitzende des Vereins Gnadenkirche Tidofeld, Dr. Helmut Kirschstein am Sonnabend bei der offiziellen Eröffnung der Dokumentationsstätte. Die Mitglieder der Projektgruppe brauchten „manches Mal eine Menge Gottvertrauen, um an den Erfolg zu glauben“.

Die erste Idee zur Einrichtung einer solchen Dokumentationsstätte hatte 2005 der damalige Pastor Hans Bookmeyer. Kirschstein dankte nicht nur ihm, sondern auch dem Vorstand herzlich: Er holte jeden einzeln nach vorn, überreichte ihm eine Rose. Den Vorstand bilden: Professor Bernhard Parisius, wissenschaftlicher Leiter des Projekts, Johann Haddinga, zweiter Vorsitzender und Historiker, Heiko Kremer, Schatzmeister und Architekt beim Umbau des Gebäudes, Erika Schmelzle, sie habe als Kommunalpolitikern „Wege zur Politik geöffnet“, Zbigniew Kullas, vor allem für die deutsch-polnische Versöhnungsarbeit, insbesondere für den Jugendaustausch zuständig, Sylvia Oeltjen, sie wohnte 16 Jahre lang im Lager Tidofeld, und Dr. Hermann Queckenstedt, von der katholischen Kirche, er ist Leiter des Diözesanmuseums im Bistum Osnabrück. Eine besonders wichtige Funktion hatte seit 2007 der Geschäftsführer des Vereins, Pastor Anton Lambertus. Ihm sind die meisten Zeitzeugen-Interviews zu verdanken.

Kirschstein selber erhielt ein herzliches Dankeschön für sein „beharrliches Klinkenputzen“: „Wenn er nicht so beharrlich dabei geblieben wäre, wäre aus der Gedenkstätte nichts geworden“, sagte Angelika Ruge, Kirchenvorstand der Ludgeri-Gemeinde Norden.

Sehr persönlich ging es auch bei der ersten Begehung der Dokumentationsstätte zu: Ein Mann kämpft mit den Tränen, die Stimme ist erstickt: „Hier hat der Beutel einen guten Platz“, sagt er dann. Norbert Falkenberg, Jahrgang 1941, flüchtete im Oktober 1946 mit der Mutter und den Geschwistern Hubert, Jutta und Brigitte von Pommern in den Westen. Um den Hals hatten der kleine Junge, seine Schwestern und der Bruder Brustbeutel, auf ihnen stand ihr Name, im Innern waren Löffel und Kamm untergebracht. Seit Sonnabend ist der Brustbeutel von Schwester Jutta in einer beleuchteten Vitrine in der Gnadenkirche in Tidofeld zu sehen, in der neuen Dokumentationsstätte zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Niedersachsen und Nordwestdeutschland.

Mehr als 300 Gäste aus Kirche, Politik, Wirtschaft konnte Dr.Helmut Kirschstein,Vorsitzender des Vereins Gnadenkirche Tidofeld, am Sonnabend zur Eröffnung der Dokumentationsstätte begrüßen. Unter ihnen waren auch Professor Rolf Wernstedt, der den Festvortrag „Gedanken über Erinnerung an Flucht, Vertreibung und Integration gestern und heute“ hielt. Er erhielt viel Applaus für seine Worte. Bischof Ralf Meister hielt die Festpredigt. Er ist mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil einer der Schirmherren des Projektes. Gemeinsam mit dem Römisch-katholischen Bistum Osnabrück (vertreten durch die katholische Kirchengemeinde Ludgerus, Norden), dem Landkreis Aurich und der StadtNorden gründete der evangelisch-lutherische Kirchenkreis Norden den Verein Gnadenkirche Tidofeld.

Für die Musik während des Festaktes sorgte das Blechbläserensemble Ludimus Domino. Die Gedenkstätte ist im Norder Stadtteil Tidofeld in der früheren Gnadenkirche eingerichtet worden, weil es nach dem Zweiten Weltkrieg an diesem Platz ein Lager für Vertriebene und Flüchtlinge gab. 6000 Männer, Frauen und Kinder lebten hier in Holzbaracken. Tidofeld war damit eines der größten Flüchtlings- und Vertriebenenlager in Niedersachsen.

Wer die Gnadenkirche von früher kannte, wird mehr als erstaunt sein: Statt Kirchenbänken führt heute ein beleuchteter „Zeitstrahl“ den Besucher von den Ereignissen „Auslöser der Flucht“, „Krieg“, „Flucht, „Lagerleben“ bis zum Abschluss „Einleben in der neuen Heimat“. Von der Decke werden Schwarz-Weiß-Fotos, die Flucht und Vertreibung zeigen, auf den Fußboden projiziert. In der Mitte des früheren Kirchenraumes stehen acht Säulen.„Dies sind die ,Säulen der Integration’“, so Dr. Kirschstein. Während an der Wand objektive Informationen über den Krieg und seine Folgen zu lesen seien, böten die „Säulen der Integration“ ganz Persönliches, erklärt Professor Dr. Bernhard Parisius, Wissenschaftlicher Leiter des Vereins. Der Besucher kann über das Berühren eines Feldes auf einem Fernseher bestimmen, welcher der 100 Zeitzeugen erzählt.

Eine von ihnen ist Sylvia Oeltjen. Bis 1958 hat sie zwölf Jahre in dem Lager Tidofeld für Flüchtlinge und Vertriebene gelebt. „Ich finde es toll, dass es einsogroßes Interesse gibt“,freute sich Sylvia Oeltjen. Sie arbeitet auch im Vorstand des Vereins Gnadenkirche Tidofeld mit. „Ich wollte das Erlebte weitergeben.“

Auch Ingeborg Stürenburg hat in dem Lager gelebt. „Ich finde, dass die Leistung der Mütter noch mehr betont werden müsste“, meinte sie. Nichtsdestotrotz findet auch sie es „toll“, dass es jetzt eine solche Dokumentationsstätte gibt.

Alexander Zenker aus Leybuchtpolder und ebenfalls Flüchtling, findet die Ausstellung „hervorragend“: „Vor allem für die Nachwelt ist sie gut. Sie kann es plastisch erleben.“ Er will wiederkommen, um sich alles „in Ruhe anzugucken“.

Heiko Kremer, Vorstand der Projektgruppe Gnadenkirche: „Das Interesse der Besucher war gigantisch. Ich bin sehr oft angesprochen worden, vor allem von der ,zweiten Generation’, deren Eltern geflüchtet waren.“ Sie alle hätten die Ausstellung als „sehr spannend“ empfunden: „Sie ist nicht nur etwas für die ältere Generation.“

Dr. Kirschstein betonte das „Alleinstellungsmerkmal der Dokumentationsstätte“: Das, was die Gnadenkirche biete, sei einmalig in der Bundesrepublik.

Unter dem großen Holzkreuz an der Wand, das nach wie vor in dem einstigen Gottesdienstraum hängt, beschäftigt sich die Ausstellung auch mit dem Thema „Integration als gesellschaftspolitische Herausforderung für die Zukunft“. „Dieser Frage stellen wir uns“, so Dr. Kirschstein. Die Norder Bürgermeisterin Barbara Schlag sagte: „Krieg und Vertreibung ist ein Thema, das es heute noch gibt.“ Sie sei dankbar dafür, dass mit dieser Ausstellung ein „Stück Stadtgeschichte dargestellt wird“. Dennoch betonte sie, dass die Dokumentationsstätte erst den ersten Schritt erreicht habe. Nun gelte es, viele Besucher hier her zu holen.

Auch zwei junge Anhänger hat die Dokumentationsstätte schon. Die 13-jährigen Tim Evers und Torbe Deerberg aus Norden sagen: „Die Ausstellung ist sehr modern gestaltet, sie ist echt toll.“ Sie waren am Sonnabend eher zufällig in die Gnadenkirche geraten. Sie hatten in der Nähe gespielt, dann zog die Neugier sie insGebäude. „Das lohnt sich auf jeden Fall. Wir werden noch mal wiederkommen“, so Tim und Torbe.

Das können sie: Künftig hat die Dokumentationsstätte dienstags bis sonntags von 14.00 bis 17.00 Uhr geöffnet (montags Ruhetag). Schulklassen und Gruppen sind auch vormittags und abends willkommen – nach Absprache (Tel. 04931 – 189760).

Mit herzl. Dank an den OSTFRIESISCHEN KURIER! Foto: Copyright: SKN Druck und Verlag