Strukturwandel? "Wir haben uns übernommen."

Hage, 11. September 2013

Landessuperintendent Dieter Rathing (Lüneburg) als Gast in der KKK

"Wir haben uns übernommen." Mit diesen Worten eröffnete Landessuperintendent Dieter Rathing (Lüneburg) seinen Vortrag vor der Kirchenkreiskonferenz (KKK). "Struktureller Wandel - wieviel tut not, wieviel tut gut?" lautete die Frage - oder: "Wie wird unsre Kirche zukunftsfähig?" Rund 25 Hauptamtliche aus der Pastoren- und Diakonenschaft des Kirchenkreises Norden hatten sich zu ihrem monatlichen Treffen eingefunden, und erlebten - diesmal in Hage - einen spannenden wie spannungsreichen Vormittag.

Das Eingangs-Statement klang nach Selbstkritik: Zu viele strukturelle Veränderungen habe man in den letzten Jahren in unsrer Landeskirche vorangetrieben - von Gemeinde- und Kirchenkreisfusionen über die Orientierung an "Grundstandards" und eine neue Visitationsordnung bis hin zur Einführung der Doppik in den (ebenfalls neu fusionierten) Kirchenämtern. "Die Zukunftsfähigkeit der Kirche hängt nicht an Strukturen", so der Lüneburger Landessuperintendent, der bis vor zwei Jahren als Superintendent in Verden die entsprechenden Prozesse gestalten musste. Rathing erinnerte daran, dass es in der EKD und darüber hinaus ganz andersartige Verfasstheiten von Kirche gäbe. Die kirchliche Zukunftsfähigkeit hänge vielmehr an der Gewissheit ihrer Gläubigen - an der Frage, "wie wir dem Inhalt unsrer Botschaft gerecht werden können".

Inhalte vor Strukturen? Dieses Monitum zog sich durch den gesamten Vortrag. Allerdings komme man gerade deshalb nicht um radikale Strukturveränderungen herum: "Wir leben über unsere Verhältnisse". Die gegenwärtig noch existierenden Strukturen seien aber ursprünglich für doppelt so viele Menschen ausgelegt gewesen. "Wir klammern uns zu sehr an eine Routine, die die Zahl der Burnouts nach oben treibt."

Hinzu komme allerdings eine "gremiale Übersteuerung". Zu viele Haupt- Und Ehrenamtliche hätten zu viel mit Gremienarbeit zu tun, was z.B. den permanent geforderten Fusionierungen geschuldet sei. Er verstehe, dass ihm viele Kirchenvorstände signalisierten: "Wir wollen endlich wieder zum Eigentlichen Kommen," so der Landessuperintendent.

Einserseits zeigte Rathing durchaus Sympathie für die Schaffung größerer Einheiten, andererseits plädierte er für eine stärkere Basisnähe kirchlicher Arbeit. Aus dieser Spannung zeigte der Vortrag keinen wirklichen Ausweg, pochte als Kriterium aber massiv auf Matth. 6, 33: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes..., dann wird euch alles andere zufallen." Daraus ergebe sich die Frage nach dem kirchlichen "Kerngeschäft": "Was können nur wir, wozu ruft uns Gott?"

Die Bibel biete jedenfalls keine Anleitung zu einem "Biedermeierleben". Wir dürften grundsätzlich jede Struktur, Kooperation, Fusion oder Initiative eingehen oder ablehnen - so lange deutlich bliebe, dass wir dies als Kirche - also theologisch begründet - tun. Vom kirchlichen Auftrag her wären die Strukturen zu bedenken - niemals umgekehrt!

In dieser Perspektive behauptete Dieter Rathing, dass die Kirchengebäude in unsrer Landeskirche ebenso überschätzt würden, wie man die Hauptamtlichen überbewerte. Für die Ausbreitung des Christentums habe beides keine entscheidende Rolle gespielt, und dies sei in vielen Kirchen der weltweiten Christenheit bis heute nicht der Fall. Unter Rückgriff auf den Germanen-Missionar Bonifatius forderte er neue Bemühungen um die "Inkulturation" des Glaubens - man müsse an die Denkstrukturen einer "entkirchlichten Kultur" anknüpfen.

In diesem Zusammenhang hob er die mittelalterlichen Klöster als "Leuchttürme" für spirituelles Erleben hervor und hatte auch viel Lob für die Predigt des 18. Jahrhunderts übrig, die sich weniger um das Seelenheil der Menschen sorgte, sondern Praxistipps für Hygiene und Obstanbau erteilte: "Welches sind heute die existentiellen Nöte in unseren Dörfern?" Kirche müsse sich strukturell an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen orientieren. Es ginge darum, den Menschen "mit Wort und Tat zu dienen", im Sinne einer ganzheitlichen "Missio Dei" (Mission/Sendung Gottes), als deren Teil wir Christen uns zu verstehen hätten. In der Anglikanischen Kirche hieße dies: "Go out and join HIM!" Das kirchliche "Beziehungsnetzwerk" sei nicht nur verwaltungstechnisch, sondern geistlich zu verstehen. Die Frage nach der "äußeren Größe" der Gemeinde müsse in dieser geistlichen Perspektive "von der Strukturfrage unterschieden" werden. Alle strukturellen Entscheidungen müssten darauf zielen, Voraussetzungen für ein "geistliches Gemeindeleben" zu bieten. In provokativer Zuspitzung: Die erste Frage dürfe nicht lauten, wie wir unsere Kirchengemeinden erhalten können, sondern inwiefern sie den Menschen gut tun.

Die anschließende Diskussion zeigte Reaktionen von weitgehendem Einverständnis bis zu frustriertem Kopfschütteln. Die kontroversen Beiträge machten deutlich, wie sehr das Thema allen Beteiligten auf den Nägeln brennt - und sich auch in der weiteren Diskussion über ein Leitbild des Pfarrberufs niederschlagen wird. Sicherlich wird die Kirchenkreiskonferenz den Rat des Lüneburger Landessuperintendenten beherzigen, die Plattform des monatlichen Treffens auch weiterhin für einen offenen Gedankenaustausch zu nutzen.