Ein Korkenzieher mit Seele und das Scholz-Phänomen

Norddeich, 19. September 2021

Nüchterne Zahlen und ermutigende Botschaften zur Visitation in Norddeich

Pastorin mit Herz, Korkenzieher mit Seele: Christiane Elster bei ihrer Predigt im Norddeicher Visitations-Gottesdienst.

Dramatische Entwicklung: Die Kirchengemeinde Norddeich habe in den letzten 20 Jahren rund 40 % ihrer Mitglieder eingebüßt, so Superintendent Dr. Helmut Kirschstein bei seiner Ansprache im Visitations-Gottesdienst. Umso wichtiger erschienen eine ganze Reihe ermutigender Impulse, die von diesem Gottesdienst ausgingen: Pastorin Christiane Elster machte in ihrer Predigt Mut, die Norddeicher Arche für das dringend notwendige "Atemholen der Seele" zu nutzen: "Wir haben einen Schutzraum, und in dem ist es möglich, alles auszusprechen, was uns auf der Seele liegt."

Überraschend der symbolische Einstieg der Pastorin: Bei einer Fortbildung hatte Christiane Elster im Rahmen einer Andacht gelernt, dass es "Korkenzieher mit und ohne Seele" gibt: "Seltsamerweise funktionieren Korkenzieher mit Seele besser." Der Zwischenraum im Gewinde - sie führte zur Demonstration ein Streichholz ein - heiße "Seele": Nur das Gewinde als stabiles Gehäuse drumherum lasse diese Seele erkennen, die sich sonst "im Nichts verlieren" würde. So seien auch Schutzräume oder Freiräume für die Seele nötig, um das Innerste des Menschen zu bewahren und zu heilen: Der Kirchenraum, ein biblischer Text, das betende Miteinander der Gemeinde, ja: Gottes Treue selbst bieten jenen Raum, "in dem wir gehalten und geborgen sind".

Bei seiner nun schon dritten Visitation in Norddeich zeichnete Superintendent Dr. Kirschstein die Mitgliederentwicklung im Laufe der Jahre nach - und kam zu der erschreckenden Prognose, dass von etwa 1.100 Lutheranern im Jahr 2000 nach einem guten Vierteljahrhundert vermutlich weniger als 500 übrig bleiben werden. Verantwortlich dafür seien allerdings weniger die Austritte, als die demographische Entwicklung.

Umso wichtiger seien drei Punkte, die Mut machen könnten: Zum Einen habe es noch nie zuvor so viele engagierte Christenmenschen gegeben, die trotz zahlenmäßiger "Einbrüche" ganz erstaunliche "Aufbrüche" herbeiführten - dazu gehörten etwa der neu gegründete Chor, der Gesprächskreis "Gott und die Welt", die Andachtsreihe "LichterZeit", eine neue Wandergruppe, der Besuchsdienstkreis und die diakonische Initiative "Begegnungsmomente": allesamt seit der letzten Visitation ins Leben gerufen.

Zum Anderen verwies er auf das überraschende "Scholz-Phänomen": Gegen alle Trends habe der Kanzlerkandidat "zwischen Sturheit und Selbstbewusstsein, Treue zur eigenen Überzeugung und Zuversicht" auf die Wende zum Besseren seine Botschaft durchgehalten. Eben diese Beharrlichkeit wünsche er sich auch "von unsrer evangelischen Kirche", so der Superintendent: Warum sollte die Kirche am Ende nicht auch ungeahnt viele Menschen für die eigene Botschaft gewinnen?

Schließlich ("das Wichtigste und Entscheidende") verwies Dr. Kirschstein anhand des Wochenspruchs auf die biblische Grundlage der Christen: "Wir haben die beste Botschaft der Welt" - kein Wahlkampf-Slogan für die nächsten vier Jahre, sondern "seit einer halben Ewigkeit schon" das Evangelium vom Sieg über den Tod und alle tödlichen Bedrohungen.

Musik und Texte unterstrichen den ermutigenden Charakter: "Angelas Chor" sang dynamisch mitreißend - und wiederholt beklatscht - von begeisternder Natur und dem innigen Wunsch nach Frieden (Leitung: Angela Anders). Jan-Hendryk Bas zeigte, was man aus der kleinen Orgel mit musikantischer Virtuosität herausholen kann steuerte auch sein E-Piano für ein neues Lied bei. Und Pastor i.R. Dieter "Didi" Albertsmeier präsentierte die Abkündigungen zum erstaunlich bunten Gemeindeleben derart humorvoll, dass die Gemeinde applaudierte - wo hat es das jemals gegeben? Allen nüchternen Zahlen zum Trotz ein ermutigendes Ereignis, dieser Visitations-Gottesdienst!