"Besuch eines Landes zwischen Trauma und Traum"

Norden / Berlin / Kampala / Gulu / Kitgum, 05. Dezember 2021

Norder Gossner-Delegation wird mit Gewalt konfrontiert – und erlebt paradiesische Schönheit. Die wichtige Rolle der Kirche. Uganda auf dem Sprung in die Zukunft?

Die Delegation des Kirchenkreises Norden und der Gossner Mission in der Dokumentationsstätte der anglikanischen Church of Uganda: Schockierend die drastische Darstellung des christlichen Martyriums - Beginn einer Spur blutiger Gewalt, die sich durch die Geschichte Ugandas zieht

Zwischen Hölle und Himmel, traumatischer Gewalt und traumhafter Schönheit: so erlebte die Delegation des Norder „Freundeskreises Uganda“ und der Gossner Mission das ostafrikanische Land, seine Geschichte und Gegenwart. Beim Besuch von Fort Patiko, einem ehemaligen Zentrum muslimischer Sklavenhändler, erfuhren die Deutschen von der „Selektion“, die an dieser Stelle schwache und ermüdete Schwarze den Kopf kostete – zig tausende verloren hier ihr Leben, bevor Samuel Baker dem grausamen Gebaren ein Ende bereitete und die Sklaverei im Norden Ugandas abschaffte.

Auch die Ursprungsgeschichte der christlichen Kirchen Ugandas ist blutig: Anglikaner wie Katholiken führen ihre Wurzeln auf die Massaker an christlichen Märtyrern zurück, die 1886 der Angst des bugandischen Königs Mwanga II. zum Opfer fielen. Der „Kabaka“ fürchtete den König Christus, dessen Reich von seinen ersten Anhängern herbei-gebetet wurde („Dein Reich komme“) – und ließ 22 Katholiken und 23 Anglikaner, ganz überwiegend junge Leute seines Königshofs, auf brutalste Weise verstümmeln und hinrichten. Auch wenn dieser König sich später erstaunlicher Weise zum Christentum bekehrte: Seither scheint sich eine Blutspur aus Terror und Gewalt durch die Geschichte Ugandas zu ziehen. Beim Besuch der größten katholischen Pilgerstätte Afrikas wurden der Norder Delegation die gruseligen Details ebenso drastisch vor Augen geführt, wie in den plastischen Märtyrer-Szenen der anglikanischen Gedenkstätte. Mahnung für spätere Generationen?

Diese Mahnung ist nach der Unabhängigkeit Ugandas 1962 jedenfalls nicht angekommen: Milton Obote wie Idi Amin kamen per Staatsstreich an die Macht und brachten zusammen bis weit über eine halbe Million Menschen um. Ab 1986 wütete dann im Norden Ugandas der Terror der sog. „Lord´s Resistance Army“ unter dem berüchtigten Joseph Kony. Mit kleinen Trupps überfielen sie wehrlose Dörfer, metzelten die Bevölkerung nieder und zwangen Mädchen und Jungen zur Prostitution und als Kindersoldaten in ihre Reihen. In der Region der Norder Partner-Diözesen galten nach Kriegsende 2006 über 90 % der Bevölkerung als traumatisiert. In dem kleinen Dorf Lukodi stieß die Delegation eher zufällig auf ein Mahnmal für die örtlichen Opfer und wurde von Einheimischen zu einem Dokumentations-Raum geführt, der erst kürzlich von der Robert-Bosch-Stiftung eingerichtet wurde und beklemmende Details zur grausamen LRA-Vergangenheit zeigte. Die LRA-Massaker gaben auch den Anstoß zu einem weit größeren Dokumentations-Zentrum: In Kitgum besuchten die Gäste das „National Memory and Peace Documentation Centre“ und wurden von einem engagierten jungen Wissenschaftler in die Abgründe der Gewalt eingeführt, aber auch über erfolgreiche Methoden des Friedensstiftens in der Nachkriegszeit informiert. Der junge Leiter erzählte schließlich aus seiner eigenen traumatischen Vergangenheit – die Delegationsmitglieder reagierten tief berührt und zeigten sich schockiert.

Umso erhebender waren vor diesem düsteren Hintergrund verschiedene Kultur-Events, die etwa im durch HIV/AIDS besonders betroffenen Ort Kilak Corner, in dem abgelegenen Dorf Got Ngur und im weit nördlichen Paloga die schönen Seiten der ugandischen Tradition erleben ließen: traditionelle Tänze und Gesänge, die mitreißen und begeistern konnten. Auch die Bedeutung christlicher Gottesdienste in Uganda versteht man offenbar erst auf dem düsteren Hintergrund der Vergangenheit: Tiefe Frömmigkeit und überraschende Fröhlichkeit faszinierten die Delegationsmitglieder immer wieder. Nicht nur der gewaltige Festgottesdienst zur Einführung des neuen Bischofs von Gulu wirkte mit seinen 10.000 Gläubigen überwältigend. Die Norder erlebten auch den Gottesdienst zur Einweihung der neuen Universitäts-Kirche in Gulu mit und feierten den 1. Advent in der erst zur Hälfte fertiggestellten, riesigen St.Janani-Luwum-Kirche in Kitgum. Hier hielt Superintendent Dr. Helmut Kirschstein die Predigt. Angesichts des erwarteten Kinds in der Krippe forderte er große Kirchenleute und mächtige Politiker zur Demut auf – und alle Deutschen freuten sich über den Choral „Glorious Things of Thee are spoken“, der von Chor und Gemeinde zur allgemeinen Verblüffung auf die vertraute Melodie der deutschen Nationalhymne gesungen wurde...

Der Orientierung in diesem Land der Überraschungen diente das Gespräch mit einer höchst kompetenten Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft. Auch dabei ging es um das Thema „Gewalt“, denn am Vortag hatten zwei Terroranschläge eines ugandischen Ablegers des IS mehrere Menschenleben in der Hauptstadt gekostet. - Ein Besuch in der seit langem freundschaftlich verbundenen „Kampala Diplomatic School International“ zeigte aktuelle Bildungs-Möglichkeiten auf: Die von Johnson Nyeko und seiner Frau Venturina unter hohem ethischen Anspruch geführte Schule war gerade erstmals zur „besten“ Afrikas gewählt worden, bekam prompt 100 Anmeldungen mehr als im Vorjahr – und wurde jetzt durch einen ökologisch nachhaltig konzipierten Neubau um vier Klassen erweitert, den wiederum der Norder Superintendent zusammen mit einem ugandischen Geistlichen einweihen durfte. - Ein herzliches Willkommen gab es auch an der Y.Y.Okot-Mädchenschule in Kitgum, wo neben der Begutachtung des von Gossner initiierten Wasser-Projekts auch kulturelle Darbietungen auf dem Programm standen: Beeindruckend, wie an dieser Partnerschule Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein junger Frauen gefördert werden! Aber nicht nur emanzipatorische Poems wurden präsentiert – die Norder wurden mit einem Volleyball-Spiel gegen ein Team des Lehrerkollegiums überrascht. Man zog sich unter großem Gelächter achtbar, wenn auch deutlich unterlegen aus der Affäre – beim nächsten Mal sollte wieder Fußball gespielt werden (da hatte man 2018 gewonnen!).

Manche Begegnungen verliefen freilich weitaus spröder und in Arbeits-Atmosphäre, bisweilen auch nur vom Norder Superintendenten und Dr. Volker Waffenschmidt als Afrika-Koordinator der Gossner Mission wahrgenommen: mit Florence Akuzu, der engagierten Leiterin einer Selbsthilfegruppe junger Frauen gegen Teenage-Schwangerschaften und Beziehungs-Gewalt – mit Vertretern der Männer- und der Frauenarbeit in Gulu und Kitgum – vor allem mit beiden Bischöfen, die selbstverständlich auch ihre eigenen Perspektiven auf die weitere Projekt-Arbeit entwarfen.

Welch bedeutende Rolle die anglikanische Church of Uganda spielt, zeigte sich beispielhaft an der Beteiligung höchster Würdenträger am Festgottesdienst zur Bischofsweihe: In Stellvertretung von Ministerpräsident Museveni waren der Parlaments-Präsident wie der oberste Richter des Landes und der höchste Militär erschienen. Sie alle blieben nach vorgetragenen Grußworten bis zum Schluss der sechsstündigen Veranstaltung vor Ort, offenbar in Anerkennung des bedeutenden Einflusses der Kirche. Ob die Church of Uganda wohl weiß, welches Gegengewicht sie als „schlafender Löwe“ gegenüber dem demokratisch nicht unumstrittenen System spielen könnte, fragte man sich in der Delegation...

Dass diesem Land eine großartige Zukunft bevorstehen könnte, wenn die Gewalt überwunden und Frieden gehalten wird: das erfuhr die Norder Gossner-Delegation praktisch auf Schritt und Tritt. Noch sind Armut und aufgrund der Corona-Pandemie sogar wieder Hunger-Phänomene zu beobachten. Aber seit etwa 2015 hat ein Straßenbauprogramm selbst in den Provinzstädten und auf abgelegenen Regionalrouten für eine Total-Verbesserung der Verkehrswege gesorgt. Überall sind neue Hochspannungsleitungen zu sehen, die Elektrifizierung schreitet fort, Dörfer und Stadte liegen nachts nicht mehr im Dunkeln. Reise-Organisator und Start-up-Unternehmer Peter Nyeko eröffnete der Delegation Einblicke in ein regelrechtes „Innovation Village“ im Kampalaer Vorort Ntinda – der Beginn eines Silicon Valley auf afrikanisch? Er selbst sorgt mit seiner Verbreitung der „Biomass Gasification“ für die Elektrifizierung entlegenster Dörfer und verbindet bäuerliche Landwirtschaft mit Elektrofahrzeugen und Solarenergie. Die Delegation konnte den Eindruck gewinnen, dass Uganda auf dem Sprung in die Zukunft ist.

Immer unter der Prämisse einer friedlichen Weiterentwicklung! Vom Trauma zum Traum – denn dass Uganda traumhafte Landschaften und eine grandiose Tierwelt zu bieten hat, erlebten die Delegationsmitglieder abschließend bei einer Foto-Safari durch den Murchison Falls National Park. Wie hatte einst Winston Churchill Uganda genannt? Die „Perle Afrikas“! Nach Jahrzehnten traumatisierender Gewalt ist das Land auf dem besten Weg dorthin – und eine starke protestantische Kirche sorgt dafür, dass Gottvertrauen und Ethik, Bildung, Gerechtigkeit und Menschenwürde auf diesem Weg eine entscheidende Rolle spielen.